: AL und DDR-Linke warnen
■ Gemeinsame Erklärung der AL, der „Vereinigten Linken“, der „Nelken“ und anderer linker DDR-Gruppen zur Vereinigungsfrage / Warnung vor zu schnellem Tempo / „Vertrauen in die eigene Kraft“
Unter dem Titel „Vertrauen in die eigene Kraft“ hat sich gestern die AL zusammen mit verschiedenen linken Gruppierungen der DDR-Opposition an die Öffentlichkeit gewandt. Die Erklärung, die von der Vereinigten Linken, den Nelken, der Minderheitsfraktion des Neuen Forums, sowie Teilen des Grünen Bundesvorstandes getragen wird, warnt „angesichts der sich überschlagenden Wiedervereinigungspläne“ nachdrücklich davor, die „nationalen Empfindungen weiter hochzuputschen“. Für „eigenständige Lösungen“ in der DDR plädierten u.a. Harald Wolf für die AL, Dr. Reinfried Musch für die Vereinigte Linke, sowie Reinhard Wolf und Ingrid Köppe für die linke Fraktion im Neuen Forum. Es steht aber zu befürchten, daß der Aufruf „Vertrauen in die eigene Kraft“, die Stimmungslage in der DDR kaum korrigieren wird. Überhaupt scheint die in der Erklärung geäußerte Befürchtung, es könne unter dem Wiedervereinigungsdruck in der DDR jetzt zu einem „Ende des revolutionären Prozesses“ kommen, der aktuellen Entwicklung weit hinterherzuhinken.
So besteht die Substanz der Erklärung weniger in der Hoffnung, „eigenständige Lösungen“ durchsetzen zu können, als in der Kritik wohlfeiler, populistischer Übernahmeangebote aus dem Westen. Die derzeit favorisierten Lösungsvorschläge einer Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR seien ungeeignet, die tiefgreifenden Probleme im anderen deutschen Staat zu lösen. Vielmehr nehme der jetzt forciert betriebene „schnelle Anschluß an die Bundesrepublik“ katastrophale soziale Folgen in Kauf. Unter anderem werde eine kurzfristig herbeigeführte Wirtschaftsunion voraussichtlich zwei Drittel der DDR-Betriebe ruinieren. Gleichzeitig werde bei den DDR -BürgerInnen weiter die Illusion geschürt, die Einführung der D-Mark als Binnenwährung werde unmittelbar auch bundesdeutschen Lebensstandard garantieren. Es sei interessant, so Reinfried Musch, daß der versammelte wirtschaftspolitische Sachverstand in der Bundesrepublik die schnelle Währungsunion äußerst kritisch beurteile, während die Politiker im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlkämpfe weiter in unverantwortlicher Weise die Illusion einer schnellen und glatten Lösung der Probleme suggerierten.
Die Erklärung versucht noch einmal mit einem Appell an das Selbstbewußtsein des Aufbruchs für eine „selbstbestimmte, demokratisch kontrollierte Reform“ zu werben: Die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes dürfe nicht zum bundesdeutschen Verfassungsschutz führen; die Rechtsangleichung an die BRD dürfe nicht die Legalisierung der Republikaner zur Folge haben. Die Zweistaatlichkeit „muß nicht das letzte Wort der Geschichte gewesen sein“ - so die Erklärung - doch eine staatliche Einheit müsse auch mit Reformen in der BRD einhergehen.
Mathias Geis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen