: Der Killer als Samurai
■ V O R L A U F
(Der eiskalte Engel, Samstag, ARD, 0.15 Uhr) Der Film beginnt mit einer frechen Lüge: „Es gibt keine größere Einsamkeit als die des Samurai, es sei denn die des Tigers im Dschungel!“ Der starke Satz stammt nicht, wie im Vorspann des Films angegeben, aus dem Ehrenkodex der Samurai, Bushido, sondern vom Regisseur Jean-Pierre Melville. Was soll's, selbst die japanischen Kinobesucher haben nichts gemerkt. Der Spruch ist Motto eines der schönsten Kriminalfilme, der je gedreht wurde. Melville, der eigentlich Grumbach hieß, schrieb 1963 das Drehbuch - nach dem Roman The Ronin von Joan McLoad - speziell für Alain Delon. Der aber machte sich nicht mal die Mühe, die Geschichte zu lesen und jettete nach Hollywood. Melville drehte Der zweite Atem, den wiederum schaute sich Delon an und war beeindruckt. 1967 fragte er bei Melville an, ob er keinen Film mit ihm machen wolle, und war erstaunt, als der Regisseur ihm das fertige Drehbuch zu Le samourai vorlegte. Der Schauspieler willigte sofort ein, und als Der eiskalte Engel später in die Kinos kam, verschaffte er Alain Delon endgültig einen Kultstatus.
Delon ist der einsame Killer Jeff Costello. Als er einen seiner Aufträge ausführt, gibt es eine Zeugin. Jeff wird verhaftet, aber die Polizei muß ihn wieder laufen lassen, weil jene Zeugin, die schwarze Barpianistin Valerie (Cathy Rosier), ihn deckt. Die Polizei beschattet ihn weiter, das wiederum paßt Jeffs Auftraggebern nicht, und sie setzten einen Killer auf den Killer an. Aber Jeff überwältigt den Killer, preßt aus ihm den Namen des Syndikatschefs heraus, sucht diesen auf und erschießt ihn. In einer Bar provoziert er schließlich die Polizei, indem er einen Revolver auf Valerie richtet. Er wird erschossen, der Revolver, den er in der Hand hält, ist leer. Der Samurai hat Harakiri begangen.
Melville hat dieses Requiem für einen Killer in ausgebleichten Farben inszeniert. Er wollte einen Farbfilm in Schwarzweiß machen. Er ging sogar so weit, die Banknoten, die Aufkleber der Wasserflaschen und die Gitanes-Packungen zu fotokopieren, und die Kopien in Schwarzweiß anstelle der leuchtend farbigen Orginale zu benutzen. Die spärlichen Dialoge (in keinem anderen Film hatte Delon weniger Text), die langen Passagen der Stille und die sparsame Musik von Fran?ois de Roubaix tun das ihre, um eine Atmosphäre der Einsamkeit und Entfremdung zu verbreiten. Der einzige Freund des Killers ist ein Dompfaff, den Jeff in einem Käfig seines kahlen Zimmers hält und dessen aufgeregtes Piepsen ihn vor Eindringlingen warnt.
Regisseur Melville starb, gerade 56 Jahre alt, 1973 in einem japanischen Restaurant in Paris, der Dompfaff kam schon 1967 ums Leben, als Melvilles Studio in der Rue Jenner abbrannte, und Alain Delon macht nur noch schlechte Filme.
Karl Wegmann
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