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Die Tankstellen von Gera

■ Der Lack geht ab in der DDR. Unter den rot-gelben Farben des VEB Minol kommen auch die alten Embleme der Ölkonzerne wieder zum Vorschein

Die Information war eher dürftig. Irgendwo in der DDR, vermutlich aber in Gera, existiere eine Tankstelle, an der noch das alte Esso-Emblem durchschimmere. Nur die Minol -Zapfsäulen seien neu, sonst befände sich die Anlage noch im Zustand der dreißiger Jahre.

Gleich unsere erste Bekanntschaft an der großen Minol -Tankstelle hinter der Autobahnabfahrt Gera-Nord kann uns weiterhelfen. Frau M., die die Leiterin der größten Geraer Tankstelle ist, sitzt in einem gläsernen Kabuff und zählt die Einnahmen. Sie will ihren Namen „bloß nicht“ in der Zeitung lesen. Eine Abrechnungskraft fehle ihr, seufzt sie. Nein, nach drüben sei keiner von ihren Leuten gegangen, aber es sei auch zwecklos, neue zu finden. Hat sich denn etwas verändert in den letzten drei Monaten? Nein, noch nichts. Aber neulich sei eine Bezirksversammlung gewesen. Die Leute seien in Sorge, denn sie haben Angst davor, daß sich die früheren Eigentümer der Tankstellen wieder melden und ihr früheres Eigentum wieder zurückwollen, das 1949 verstaatlicht worden war. „Aber bei vielen Grundstücken geht das doch gar nicht. Viele sind doch neu bebaut worden, da stehen jetzt Häuser drauf.“ Frau M. rechnet mit Entschädigungszahlungen durch den Staat. Und die Tanks seien einfach im Boden geblieben, erzählt uns später einer ihrer Kollegen.

Frau M. ist hilfsbereit. Seit 30 Jahren arbeitet sie für Minol, doch von einer alten Esso-Tankstelle weiß sie nichts. Geschwind ruft sie ein paar Kolleginnen und Kollegen an. „Fehlanzeige“, bedauert sie dann und zuckt mit den Schultern. Aber sie erwähnt einige stillgelegte Tankstellen, andere sind noch in Betrieb. „Aus den 30er Jahren? Das sind in Gera alle, außer meiner.“

Die Straße des Friedens ist für alle älteren Leute, bei denen wir uns durchfragen, immer noch die Waldstraße. Ein Mann schaut auf unser West-Nummernschild und sagt: „Da ist aber nichts mehr. Da müssten Sie viel investieren!“ Er hat recht: Von der Tankstelle ist kaum noch etwas zu sehen, nur an den beiden Hausfassaden ist mit einiger Mühe der senkrechte Schriftzug Shell in den Groteskbuchstaben auszumachen, die in den dreißiger Jahren modern waren. Fleischermeister Schimmel, der nebenan seinen hübsch ausgekachelten Laden betreibt, schickt uns zur PGH Autoelektrik in die Neue Straße. „Da stehen sogar noch die alten Säulen.“

Aber vorher fahren wir in die Wilhelm-Pieck-Straße, in die Berliner Straße, wie wir wiederholt mit Blick auf unser Autokennzeichen zurechtgewiesen werden. Und sind beeindruckt: Von der freistehenden Tankstelle mit dem weiten Flachdach, das zur Straße hin im geometrisch exakten Halbkreis ausläuft, hinten auf dem Tankwartraum ruht und vorne von einer einzelnen Säule getragen wird, die zwischen den Zapfsäulen auf der Tankinsel steht. Das Dach ist allerdings nicht aus Eisenbeton, sondern aus Holz. Niedrige Mäuerchen mit Hecken und Rasen umgeben die geschwungene Einfahrt; an den Ecksteinen ist noch der Rost der einstigen Bodenbeleuchtung zu erkennen.

Neue Sachlichkeit des Industriebaus, eine Tankstelle, wie es sie früher zu Hunderten in Europa gegeben hat, hell, luftig, hygienisch und funktional. Architekten der niederländischen Künstlergruppe de Stijl und des Bauhauses hatten in den Zwanziger Jahren die Formen der Moderne entwickelt, die sich scharf vom historisierenden Baustil in seinem Muff und seiner Enge abgrenzten. Das Flachdach etwa gehörte unbedingt dazu: „Es wäre gegen alle Arbeitsökomoie und den technischen Sinn unserer Zeit, die uns mehr dazu fürhen werden, die Häuser aus großformigen Bauelementen herzustellen, wenn wir auf die mit wenigen Kranschwenkungen aufgestellten Häuserwände das alte handwerkliche Steildach setzen würden mit seinen Säulen, Zangen, Sparren, Latten, Ziegeln und den vielen Nägeln“, rechnete der Architekt Adolf Schuster, ein früher Protagonist der Plattenbauweise, mit den FreundInnen des Dachstuhls ab.

Die Auftraggeber, auch die großen Konzerne jener Zeit, nutzten die Verheißung besseren Lebens und Arbeitens gerne. Die beginnende Motorisierung und der schnelle Ausbau des Versorgungsnetzes ermöglichte die Planung konzerneigener Tankstellen quasi vom Fließband - um so mehr, als diese Einrichtungen kaum Vorläufer besaßen, denn der Kraftstoff war zuvor meist als Nebenerwerb von Handwerkern verkauft worden. Gerade in der Waldstraße, die aus Gera nach Greitz führte (und diese Funktion als Straße des Friedens weiter hat), soll es drei der Verkaufsstellen gegeben haben, hatte Fleischermeister Schimmel erwähnt.

Gänzlich im Originalzustand ist die Anlage, vor der wir jetzt stehen, allerdings nicht. Selbstverständlich fehlt das frühere Firmenschild. Die vier Rundlampen unter dem Dach sind durch Neonröhren ersetzt, das Ölkabinett ist jüngeren Datums, und die beiden Rechenkopf-Zapfsäulen sind die von Minol. Alles macht einen äußerst gepflegten Eindruck, um so mehr, als jetzt, am Mittwoch nachmittag, geschlossen ist.

„Das war mal die modernste Tankstelle in ganz Gera“, sagt der überaus stolze Heinz Sander, der mit Ehefrau Gudrun am 1.Juli sein 20jähriges Firmenjubiläum feiern will. Jahrelang hatte er ein Auge auf die Tankstelle; als im Rat der Stadt über Schließung oder Privatvergabe debattiert wurde, erhielt er den Zuschlag und eröffnete 1970 neu. „Der Rat mochte wohl nicht selbständig über die Schließung entscheiden oder sie an Minol geben“, erzählt Sander. Er ist der einzige private Tankstellenbetreiber der Stadt, denn - das Grundbuch weist als Eigentümer die Shell Mineraloel AG aus. Das Baujahr, schätzt er, müßte zwischen 1932 und 1936 liegen.

„Warten Sie mal einen Moment“, sagt er, verschwindet in einem Anbau und kommt dann strahlend mit einer großen Ölmischkanne aus Blech wieder: „Das ist das einzige vom Inventar, was noch erhalten war, damals.“ Die Tankstelle war in ruinösem Zustand, als er sie übernahm: „Es hat 'reingeregnet, ach alles, wir haben alle Gewerke gebraucht, um sie wieder aufzubauen.“ Und wenn die einstigen Eigentümer Ansprüche erheben? „Die Tankstelle gäb's heute nicht mehr, wenn wir sie nicht übernommen hätten. Ich warte auf den Tag, wenn die Shell kommt und mir ein Angebot macht. Aber die sollen nicht vergessen, daß wir das hier erhalten haben. Das ist unser Verdienst.“

Und wenn demnächst vor der Stadt eine westliche Großtankstelle eröffnet? Sander verweist auf seine Stammkundschaft und den Reifendienst, den er schon seit zehn Jahren hat. „Und dann verkauf‘ ich vielleicht noch Zeitungen oder nehme einen Espresso dran.“ Nur das Nachbargrundstück, das würde er dann gerne dazu haben.

Konnte eine solche Anlage noch unter den Nazis errichtet werden? „Fragen einer geradezu gemeinen, brutalen, herz- und seelenlosen Sachlichkeit“ machte doch der Faschist Hermann Giesler im Propaganda-Blatt 'Die Straße‘ im Dezember 1935 aus. Die Verwendung von Hau- und Bruchsteinen wurde verordnet, auch, um Eisen und Beton für die Kriegswirtschaft freizumachen, aber auch als Elemente der neuen völkischen, schollengebundenen Ästhetik. Auch die Dächer werden wieder steil; das Gebäude der Tankstelle an der Elsterbrücke ist ein Beispiel dafür. Und dennoch - hilflos ist ein stählernes Flachdach einfach davorgesetzt.

Daß die damalige Shell, als niederländischer Multi immerhin ein ausländisches Unternehmen, auch unter den Nazis ihre Tankstellen betrieb und sogar neue einrichten konnte, hatte einen sehr banalen Grund. Der damalige Vorstandsvorsitzende Deterding war ein fanatischer und spendabler Antikommunist auf der Suche nach Verbündeten, und der Führer „freut sich über die 40 Millionen“, notierte Goebbels im Januar 1936 und merkt dann an: „30 Millionen werden eingesetzt zum Bau einer Riesenfabrik für Volkswagen.“ Gerade wird, mit Brücken aus Haustein natürlich, die Autobahn an Gera vorbei gebaut; die Baubranche boomt, der Bedarf an Tankstellen steigt sprunghaft. Die Zeit für stilistische Vorschriften gegenüber einem befreundeten Unternehmen sind noch nicht gekommen. Nur private Betreiber, etwa die der schon lange stillgelegten „Ringfrei„-Tankstelle an der Helene-Fleischer-Straße - einem Neubaugebiet jener Zeit - mühen sich um Historisierung. Hier hat es zu einfachen quadratischen Pfeilern mit kleinen Kapitellen gereicht.

Die Tankstelle in der Neuen Straße nun, auf die uns Fleischermeister Schimmel aufmerksam gemacht hatte, ist ebenfalls stillgelegt. Schimmel kann schon lange nicht mehr hier gewesen sein: Die Zapfsäulen sind weg, dem verwitterten Fundament nach schon seit Jahren. Der Putz bröckelt von der Fassade, die Fenster sind blind vor Schmutz. Hinter einer Toreinfahrt erstrecken sich die Hallen der Produktionsgenossenschaft des Handwerks Autodienst. „Die Tankstelle nutzen wir als Lager, da ist nichts Altes mehr drin“, erzählt ein Meister, der uns zunächst für Antiquitätenjäger zu halten scheint. Hobbybastler hätten die Säulen schon lange abmontiert, „wer, weiß ich auch nicht.“

„Der Schwiegersohn vom alten Schneider habe das geerbt, der Manfred von Brauchitsch. Das war der, der für den Sozialismus war, die anderen sind ja alle 'rübergegangen. Ende der 50er Jahre hat der das Grundstück an die Gebäudewirtschaft verkauft, dann hat die Molkerei die Tankstelle benutzt. Die fuhren die russischen 'Sys‘, die 300 Liter Diesel auf hundert Kilometer brauchten.“ Der Meister grinst. Aber der Chef, der besser bescheid wisse, ist nicht da. „Er ist in Bayreuth bei der Kraftfahrzeug-Innung, zur Unterweisung.“

Denn die PGH wird im Juni aufgelöst und in drei oder vier selbständige Einheiten geteilt, teilweise in die, aus der sie 1975 zusammengelegt worden war, und teilweise auch mit denselben Eignern wie früher. Er selbst sei wohl dazu zu alt, sagt der Meister. „Natürlich mache ich mir Sorgen, das tun wir alle hier. Man weiß ja nicht, was in der nächsten Zeit passiert, vor allem mit der Währung. Es verändert sich doch alles von Tag zu Tag. Vielleicht gehe ich dann mit meinem früheren Chef.“

Privatisiert wird auch bei den Minol-Tankstellen, die noch in Betrieb sind, wenigstens in Ansätzen. So wird Gerhard Röhler, der die ehemalige BV/Aral-Tankstelle an der Wilhelm -Pieck-Straße betreibt - seltsamerweise mit einem Esso -Motorenkasten auf dem Hof - zum 1. April Pächter der Tankstelle, deren Leiter er jetzt noch ist. Er ist sicher, daß er davon gut leben kann: „Sehen Sie, Gera hat 140.000 Einwohner und sechs Tankstellen. Ich habe hier 70 Fahrzeuge die Stunde, 700 am Tag, und einen Umsatz wie bei Euch eine Großtankstelle.“

Privatisiert wird aber noch weiter oben auch, und das kann äußerst kompliziert werden. Denn die Minol Erfurt, der die drei Bezirke des früheren Landes Thüringen unterstehen, wird ein Joint-venture mit der Münchner Mineralöl-Gruppe Avia eingehen und die Kraft- und Schmierstoff GmbH Thüringen gründen, um die Tankstellen zu bewirtschaften. Was passiert, wenn jetzt die alten Eigentümer wiederkommen? Monika Alfa in der Minol-Verwaltung von Gera weiß von Aral-Leuten, die sich in der Stadt schon umgeschaut haben sollen: „Aber das wird alles höheren Ortes entschieden.“ Aber auch neue Interessenten für alte Tankstellen in günstigen Lagen haben schon vorgesprochen. Und sie selbst sei davon auch betroffen - schließlich befindet sich ihr Büro in der Helene-Fleischer -Straße in einem Haus, das einst, wie die Tankstelle mit den historisierenden Pfeilern, einem Mann gehörte, der Ende der 40er in den Westen gegangen ist. Der habe sich aber noch nicht gemeldet.

Die beiden wissen auch nichts von einer alten Esso -Tankstelle. Zum Schluß fahren wir noch nach Bad Köstritz, ein paar Kilometer außerhalb von Gera. Dort finden wir eine Tankstelle mit freistehendem Flachdach, die auf Eisensäulen ruht.

Aus einer Garage, in der eine junge Frau in Gummistiefeln resolut an einem Wartburg schrubbt, schlurft ein alter Mann. Er hat wäßrige hellblaue Augen und ein stilles, hilfloses Lächeln im Gesicht, so, als ob er schon sehr lange nichts mehr zu sagen habe.

Ob er denn wisse, seit wann die Anlage hier steht? Mißtrauisch blickt die Frau herüber. Nach einer Weile sagt er: „1930.“ Er murmelt leise und blickt dann hoch zur breiten Holzverkleidung des Flachdaches. Sie ist in schmalen, schrägen Streifen ganz neu gelb und rot lackiert. „Früher konnten Sie es noch lesen“, sagt er, „da, an der Seite. Aber jetzt ist übergestrichen. Schlecht übergestrichen.“

Seit wann? Er lächelt still. Dann deutet er mit dem Kinn auf die frischen Farbtropfen auf dem Pflaster. „Letzte Woche.“ Und ob er sich denn noch an die Marke erinnern könne?“ Pause, dann: „Esso“.

Als wir abfahren, wird es dunkel. Die junge Frau mit den Gummistiefeln schimpft den Mann aus.

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