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Eine Modenschau der US-Filmindustrie

Zum Beginn der diesjährigen Berliner Filmfestspiele  ■ K O M M E N T A R E

Der unbekannte Herr saß direkt neben Festival-Chef Moritz de Hadeln. Sein Name: Bernd-Rüdiger Mann, Leiter der Bezirksfilmdirektion Ost-Berlin. Die neue Sitzordnung auf dem Podium der Festivalmacher während der Pressekonferenz vergangene Woche war unmittelbar Folge des 9.November: Seit gestern finden die Filmfestspiele in beiden Teilen Berlins statt. Täglich werden Filmrollen die Grenze passieren, für ausländische Gäste gilt der Festival-Ausweis als Visum am Checkpoint-Charlie, und in den Kinos auf beiden Seiten der Mauer wird man auf Tuchfühlung gehen müssen: Der Zustrom aus Osteuropa hat allein die Zahl der Journalisten um 500 erhöht. So aufregend war die Berlinale schon lange nicht mehr.

Aber von wegen. Bernd-Rüdiger Mann erhielt auf der Pressekonferenz erst nach über einer Stunde das Wort. Moritz de Hadeln hatte nicht mal die Rednerliste geändert. Und der Blick auf die diesjährige Filmauswahl macht es offensichtlich: Der Mangel an Höflichkeit ist Programm. Wie nie zuvor brüstet sich die Festivalleitung mit dem Schwerpunkt Osteuropa, aber der Eröffnungsfilm ist eine US -Familienklamotte. Die Möglichkeit, mit Jiri Menzels 68er -Tresorfilm Lerchen am Faden oder dem mit Vorschußlorbeeren bedachten Film der sowjetischen Regisseurin Kira Muratova (der einzige Frauenfilm im Wettbewerb!) zu eröffnen, wurde anscheinend nicht einmal in Betracht gezogen. Und dem Protest der Filmemacherin Helma Sanders-Brahms, die wegen des Übergewichts der US -Großproduktionen mit Stars und Glamour im Wettbewerb (alleine ein Drittel kommt von den Majors) aus der Auswahlkommission ausgetreten ist, entgegnet die Festspielleitung mit peinlichen und fadenscheinigen Argumenten. Frau Sanders-Brahms habe nicht alle zur Auswahl stehenden Filme gesehen, der Eröffnungsfilm von Herbert Ross sei beim amerikanischen Publikum beliebt, und auch Superman sei seinerzeit im Berlinale-Wettbewerb gelaufen. Die freudige Auskunft de Hadelns, der Wintertermin Berlinale sei günstig für die Amerikaner, verrät überdies das Diktat der heimlichen Programmacher. Von Jahr zu Jahr wird offenkundiger, daß die Herrschaften von Warner Brothers und Twentieth Century Fox die Berliner Filmfestspiele als Modenschau für die Frühjahrskonfektion nutzen, als kostenlosen Publikumstest für den Einsatz der neuesten Streifen auf dem europäischen Markt. Die Berlinale als Festival der Previews, dieser Vorwurf trifft in diesem Jahr mehr denn je.

Nichts gegen amerikanische Filme, nichts gegen Oliver Stone und Woody Allen im Wettbewerb. Aber man vergleiche mit Cannes. Dort wurden vergangenes Jahr Spike Lee, Steven Soderbergh und Jarmuschs neuer Film entdeckt, und sie wurden wirklich entdeckt, sprich: uraufgeführt. Die amerikanischen Berlinale-Filme laufen längst in den USA, auch in den europäischen Medien wurden sie bereits abgefeiert, und überdies waren sie in offiziell geheimen Pressevorführungen auch in Berlin inzwischen zu sehen. Zwar widerspricht das dem Reglement, aber wen kümmert's? Zu entdecken gibt es in diesem Wettbewerb nichts: Die Festivalmacher scheinen alles daran zu setzen, daß die Berlinale gelaufen ist, bevor sie begonnen hat.

Natürlich ist Osteuropa trotzdem präsent wie nie. Das Forum zeigt aktuelle Filme zur Wende in der DDR, Tresorfilme der 60er Jahre und sowjetische Filme zum Thema Stalinimus. Das Panorama zeigt eine Serie armenischer Dokumentarfilme und sogar das allerneueste aus Rumänien. Im Wettbewerb sind Ungarn, die Tschechoslowakei, die DDR und die Sowjetunion vertreten. Aber eben bloß vertreten, mehr nicht. An den peinlichen Preis für den DDR-Filmminister Horst Pehnert im vergangenen Jahr - wegen guter Ost-West-Zusammenarbeit - mag diesmal niemand mehr erinnert werden: Immerhin war Pehnert mitverantwortlich für das DDR-Verbot der fünf sowjetischen Filme im Herbst 88, ganz abgesehen von der ganz normalen Zensur im deutsch-demokratischen Filmwesen. Ende März muß Pehnert gehen.

Auch diesmal wieder hat sich die Festivalleitung bereits im Vorfeld blamiert. Die Präsentation der Retrospektive im Ostberliner Kino „International“ wurde vergangene Woche kurzfristig von der Festivalleitung abgesagt. Der Grund: Im „International“ laufen auch die Forum-Filme, und die Retrospektive gehört zum Hauptprogramm. Beides unter einem Dach war nicht erwünscht. Auch den DDR-Fahrer, der die Filme hin und her transportieren sollte, hält Moritz de Hadeln nicht für zuverlässig, wie er in einem Interview gesteht. Die Lokalposse ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten.

Der Affront richtet sich jedoch nicht nur gegen die Osteuropäer. Federico Fellini, Jean-Luc Godard, Akira Kurosawa und David Lynch, um nur die wichtigsten zu nennen, zeigen in diesem Jahr ihre neuen Filme in Cannes und nicht in Berlin. Der von der Berlinale früher so leidenschaftlich unterstützte Autorenfilm, vor allem aus europäischen Landen, ist mittlerweile auf diesem Festival so gut wie verschwunden. Die Misere wird von Eric Rohmers neuem Film zum Schluß des Festivals eher aufgedeckt als verschleiert. Natürlich reden die Verantwortlichen nach wie vor viel über Europa, das es vor den US-Majors zu retten gilt: Anke Martiny will den Europäischen Filmpreis gar wieder nach Berlin holen. Wenn sie es ernst meint, müßte sie mit de Hadeln hadern.

Christiane Peitz

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