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Hellenischer Chauvinismus schlägt zu

Die nationalistischen Beben des Balkans erreichen Griechenland / Terror gegen TürkInnen  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Das stille Provinzstädtchen Komotini in Nordgriechenland, wo einst Griechen und Türken friedlich beisammenlebten, gleicht heute einem Pulverfaß. „Türken raus aus Thrazien“ haben griechische Nationalisten zur Devise erhoben. Tag für Tag werden Übergriffe gemeldet. Thrazien ging schließlich auch den Weg anderer Balkanregionen und wurde Schauplatz gewalttätiger ethnischer Konflikte. Die rund 150.000 Türken griechischer Staatsangehörigkeit - ein Relikt des osmanischen Reiches - sind die Zielscheibe hellenistischen Chauvinismus‘. Nach den jüngsten Ausschreitungen haben rund 2.000 TürkInnen Griechenland schon verlassen.

Ausgelöst wurde alles durch die Verurteilung von zwei Führungspersonen der türkischen Minderheit. Der ehemalige Abgeordnete Sadik Ahmet und Ibrahim Serif wurden vor zwei Wochen vom Strafgericht Komotini wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ und „Separatismus“ zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Statt von dem in Griechenland offiziell anerkannten Begriff „moslemische Minderheit“ hatten die Angeklagten in Wahlkampfbroschüren von „türkischer Minderheit“ geredet. Der Gebrauch des Begriffes „türkische Minderheit“ sei strafbar, befand das Gericht. Unabhängige Prozeßbeobachter sprachen von einem „Racheurteil“ gegen die Angeklagten, die bei den Wahlen zum griechischen Abgeordnetenhaus im April vergangenen Jahres gute Chancen hatten, als unabhängige Kandidaten gewählt zu werden.

Im Anschluß an den Prozeß kam es in der Region zu Protestaktionen der türkischen Minderheit. Es folgten heftige Auseinandersetzungen. Mit Steinen und Stangen bewaffnet gingen griechische Jugendliche gegen einen Gottesdienst der türkischen Gemeinde in Komotini vor. Mehrere hundert türkische Geschäfte und verschiedene Moscheen wurden zerstört und geplündert. Über 50 Personen wurden verletzt.

Die Wutausbrüche der griechischen Nationalisten richten sich auch gegen griechische Politiker, die zur Toleranz aufrufen. Die stellvertretende Parlamentspräsidentin und Abgeordnete der kommunistischen KKE, Maria Damanaki, die zerstörte türkische Geschäfte in Komotini besuchte und „Rechtsextreme“ und „Faschisten“ für die Übergriffe verantwortlich machte, wurde mit Eiern bewofen. „Vaterlandsverräterin Maria, zieh dir einen Schleier an“, skandierten die Angreifer.

Auch der Revisionsprozeß von Ahmet und Serif vergangenen Mittwoch endete mit Gewaltakten. Eine Gruppe fanatischer griechischer Nationalisten unter dem Namen „Thrazische Militante“ hatte in einem Flugblatt zur Teilnahme an dem Prozeß aufgerufen: „Wie lange noch sollen türkische Agenten und ihre Anhänger ihrem Treiben in unserem Land nachgehen? Auf zum Kampf, damit Sadik im Gefängnis bleibt!“ Die Aufforderung des Flugblattes zeigte Wirkung. Der Frankfurter Rechtsanwalt Hans Heldmann, der als Prozeßbeobachter anwesend war, entging ebensowenig den Prügeln wie das Kamerateam des türkischen Fernsehens. Das Urteil: Die Freilassung wurde vom Revisionsgericht abgewiesen.

Die Ereignisse in Thrazien haben einen diplomatischen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei heraufbeschworen. Der türkische Konsul in Komotini - Griechenland wirft ihm die „Aufhetzung der Moslems“ vor - wurde zur persona non grata erklärt. Im Gegenzug wies die Türkei den griechischen Konsul in Istanbul aus. Griechenland wie die Türkei werfen sich gegenseitig die Verletzung des Lausanner Friedensvertrages von 1923 vor, der einen umfassenden Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei vereinbare. Ausgenommen hiervon waren die rund 80.000 Griechen in Istanbul und die 120.000 türkischen Moslems im griechischen Thrazien. In dem Friedensvertrag werden die Rechte dieser Minderheiten garantiert. Mit Duldung der türkischen Regierung kam es im September 1955 zu Übergriffen auf die griechische Minderheit in Istanbul. Hunderte griechischer Kirchen und Geschäfte wurden zerstört. Aus Angst verließ ein Großteil der GriechInnen Istanbul. Heute leben nur noch rund 4.000 GriechInnen türkischer Staatsbürgerschaft in Istanbul.

Nach den jüngsten Vorfällen befürchtet die türkische Minderheit in Westthrazien eine ähnliche Vertreibung wie es die Istanbuler GriechInnen 1955 erfahren hatten. Politiker der konservativen „Neuen Demokratie“ heizen im Vorfeld der Wahlen die nationalistischen Gefühle auf, um Stimmen zu gewinnen. Die unterdrückten AuslandsgriechInnen, ob in Albanien oder der Sowjetunion, sind ein Lieblingsthema des griechischen Außenministers Andonis Samaras. Zehntausend von ihnen sollen in den nächsten Jahren nach Griechenland zurückkehren. Rechte Politiker spielen mit dem Gedanken, die Einwanderer in jenen Regionen anzusiedeln, wo Türken noch eine Mehrheit bilden.

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