: Der dritte Winter ohne Winter
■ Die Natur ist wieder einmal sechs Wochen zu früh / Von den Herbstwinden zügig in die Frühjahrsstürme
Vorgestern verzeichnete Berlin mit 16 Grad Celsius den wärmsten Februartag dieses Jahrhunderts, in der Rheinebene blühen schon die Mandelbäume. Unerfreulich dagegen der Orkan, der etwa gestern in Köln einen Radfahrer gegen einen Lastwagen schleuderte und tödlich verletzte. In Großbritannien haben die Stürme bereits zwei Todesopfer gefordert. Sind die weltweiten Klimaveränderungen schuld oder nicht?
Naturkatastrophen haben ihren Reiz. Nicht wegen der Toten, aber wegen der Endlichkeit des Seins, in die sie zu guter Letzt auch die Menschlein in Westeuropa wieder hineinschwemmen oder -pusten. Die hausgemachten Katastrophen der Dritten Welt - Überschwemmungen in Bangladesch, Erdrutsche in Lateinamerika, Erdbeben in Gebieten, denen die fachgerechte Bebauungsordnung nicht als das größte Problem gilt -, sie finden sonst im Fernsehen statt.
Seit aber die Stürme über West europa toben, sind die Begriffe Treibhauseffekt und Ozonloch bis in die Reihenhäuser im südhessischen Erzhausen oder Dietzenbach vorgedrungen. Die Fichten und Edeltannen aus dem Vorgarten liegen quer auf Nachbars frisch geputztem Mittelklassewagen, die Hausfrauen vergießen Tränen, die Hunde suchen ihre Stammbäume, und das Bild von der Heimat hat sich drastisch verändert: Die Mühlheimer, die einst am Waldrand Wurzeln schlugen, haben jetzt freien Blick auf Offenbach.
Dabei hätte alles so schön sein können. Schon das dritte Jahr kein richtiger Winter, kein Schneeschaufeln, kein Streusalz, kein Bibbern, kein Matsch. Die Bäume erholen sich, meldet die Stadt Frankfurt. Die studentischen Schneeräumer, die pauschal den ganzen Winter bezahlt werden, dürfen sich, wie seit Jahren schon, nachts ungestört in ihre Betten kuscheln. An der Bergstraße blühen die Mandelbäume. Diese Nachricht, die verfrorene, wintermüde Menschen zuzeiten ins Träumen brachte, jagt zur Unzeit eher Schrecken ein.
Frühlingsluft im Herbst, Herbststürme im Frühjahr und umgekehrt. Die eine Jahreszeit geht unter Aussparung des Winters in die andere über. Nicht daß unsereine wild auf Schnee und Eis wäre. Gut sah das eigentlich nur beim Blick durchs Fenster vom warmen Zimmer her aus. Übrigens: Die Eisblumen, jene bizarren kristallinen Rankgewächse, in deren Dickicht sich mit heißen Pfennigen trefflich Löchlein schmelzen ließen, sterben auch aus (schon wegen der Doppelfenster). Und die Schneeglöckchen im Hinterhof der zusätzlich aufgeheizten Großstadt sind schon Anfang Februar verblüht.
Früchte der Saison? Die Gäste aus der DDR brechen bei diesem Passus auf der Speisekarte in Gelächter aus. Kohl fällt ihnen dazu ein, Kohl und nochmals Kohl. Davon haben wir auch genug. Aber wo kriegt der Grünkohl, der Rosenkohl seinen ersten Frost her, der ihm erst die Zartheit und Süße verleiht, die den Appetit macht nach dem Schlittschuhlaufen auf dem Main? Apropos, der war auch schon jahrelang nicht mehr zugefroren. Das liegt vermutlich an der Chemieindustrie. Früchte der Saison, das sind in diesem Februar Äpfel aus Australien, Zwiebeln - tatsächlich - aus Neuseeland, Kiwis aus Holland.
Und Sturm ist in Frankfurt eigentlich auch immer. Vor allem rund um das Hochhaus am Theaterplatz. Da fegt es die Fußgänger an windstillen Tagen glatt um die Ecke. Immerhin haben die letzten Tage zum Sinnieren über das Flachdach angeregt. Beeindruckend, wie der Sturm unter die Ecken greift, das ganze platte Rechteck - auch schon mal von einer Mehrzweckhalle - säuberlich abhebt und auf die Parkplätze weht. Und wenn ein Baum auf das Flachdach-Eigenheim kracht, dann geht das glatt durch bis auf den Flokati des Wohn-Eß -Bereichs mit Kamin. Giebeldächer sind besser gerüstet. Da bläst es höchstens eine Lage Ziegel davon, gekippte Bäume lehnen sich da eher schräg und vertrauensvoll an die Sparren und demolieren höchstens den Dachboden.
Spätestens an dem Punkt, an dem die Bürogemeinschaft laut darüber nachdenkt, daß die Katze dieses Jahr kein Winterfell hatte und der Mini-Papagei so gar nicht zur Mauser ansetzen will, muß ein Fachmensch her. Uwe Wesp, Pressesprecher des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach, weiß um die Mystifikationen des Wetters. Deshalb müht er sich seit Tagen, Klimakatastrophe und Treibhauseffekt aus den Schlagzeilen zu halten. Er weiß um andere Naturgesetze: „Derartiger Unsinn wird regelmäßig verbreitet.“ Stürme seien um diese Jahreszeit wahrlich nichts Besonderes, die habe es schon „vor 500, vor 1.000 Jahren“ gegeben.
Den Wind, der in Frankfurt zu dieser Zeit mit 80 Kilometern pro Stunde weht, möchte er allerdings nicht unterschätzt wissen: „Fahren Sie mal mit 80 Stundenkilometern gegen einen Baum!“ Oder weniger drastisch: „Halten Sie bei dem Tempo mal die Hand aus dem Autofenster.“ Keine richtigen Winter mehr? Auch das sieht Wesp nicht so. Auch wärmere Phasen hat es in Mitteleuropa immer wieder gegeben. Er weiß von einem Jahr im 15. Jahrhundert zu berichten, in dem die mittelalterlichen Altvorderen zwei Ernten einbrachten und im November Kirschen pflückten.
Ein weiterer Versuch, sich dem Phänomen Wetter zu nähern: Anruf im Frankfurter Zoo bei Pressesprecher Steinert. Nein, die Eisbären schwitzen nicht, sie gehen gerne nach draußen. Sie, wie auch die Kragen- und Brillenbären, halten von Natur aus keinen Winterschlaf. Und die Flamingos sind, Winter hin oder her, im warmen Quartier, die Königs- und Eselspinguine stehen ohnehin per Klimaanlage im ewigen Eis. Wie beruhigend.
Schwerer tun wir uns da mit den Witterungshinweisen für die Landwirtschaft. Mittelfristvorhersage vom 9. bis 15. Februar: Am Montag gemischt, von Dienstag bis Mittwoch wechselnd und am kommenden Donnerstag beruhigt mit ansteigenden Temperaturen. Die Gewährsfrau von der spanischen Costa Brava berichtet: „Wir hatten noch nie so einen schönen Januar!“ Spricht's und geht zum Sonnen auf die Terrasse genau neben dem blühenden Mimosenbusch. Das hatten wir hier auch schon mal, zum Beispiel im Eozän, vor 49 Millionen Jahren. Da driftete allerdings der Frankfurter Raum als Kontinentalscholle ungefähr auf dem Breitengrad in Höhe von Neapel.
Heide Platen, Frankfurt
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