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Empfängnishilfe

 ■  Berliner Plattentips

Es gibt ein neues Label in der Stadt, Human Wrechords. Seine Macher sind fast identisch mit den Musikern der herausgebrachten Bands. Sie scheinen sich zur Aufgabe gemacht zu haben, Musik in Rillen zu pressen, die bei ausreichender Lautstärke die Mauerspechte überflüssig machen würde, bzw. das Geräusch beim Einfall des Restcorpus vorwegnimmt.

Die beiden ersten Veröffentlichungen von Human Wrechords stammen von zwei stadtbekannten lärmwerkenden Kapellen. Burst Appendix, die bisher vor allem durch reichlich dämliche englische Texte auffielen (was sich immer noch nicht geändert hat), geben sich auf ihrer Mini-LP alle Mühe, erst gar nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß sie es nicht ernst meinen mit ihrem Krach aus scheppernden Verstärkern und schartigen Kehlen. Jedes der sechs Stücke auf „Fly“ ist Rock. Hart, mittelschnell und vor allem dumpf, das allerdings auf eine grandiose Weise, wie es nur Deutschen gelingen kann. Menschen, die sich zu ernst nehmen, aber nur die besten Absichten dabei haben, und wenn es nur die endgültige Befriedung unserer Trommelfelle ist.

Der LP-Erstling von Knochen Girl (ebenfalls auf Human Wrechords) schlägt weiter in die eh schon ziemlich ausgewetzte Kerbe und schabt nochmal heftiger darin rum. Industrielle KlingKlongs und ständig übersteuert vor sich hinfiepende Gitarren sollen wohl psychedelisch sein, aber von den acht Stücken erreichen nur wenige eine magisch -manische, um sich kreiselnde Monotonie, wie zum Beispiel „Entertainment Day“, das an die liebevoll-versponnenen Depressiönchen der frühen Velvet Underground erinnert. Knochen Girl haben vor allem ein Problem, und das sind Melodien. Der Sound von „Versöhnt mit der Welt“ ist zwar beeindruckend in seiner archaischen Monstrosität, die sich einzig auf Lärm als reinen Selbstzweck gründet, und entwickelt einen ganz eigenen Reiz, aber zu oft stoßen einem die bemühten Avantgardismen auf. Wenn man allerdings bereit ist, das zu ertragen und auch nichts gegen KrächzSchreiWürg -Gesang hat, sollte diese LP eine nahezu endgültige psychedelische Erfahrung bieten, vorausgesetzt, man bringt genug Geld für die Platte und die passenden Drogen auf.

Überhaupt psychedelisch. Über die Jahrzehnte war dieses Wort, oder besser die Musik, die damit in Verbindung gebracht wird, dramatischen Veränderungen unterworfen, die hauptsächlich davon abhingen, welche Drogen gerade in Mode waren. Während Knochen Girl und Burst Appendix den momentanen Endpunkt dieser Mutationen markieren (Speed- oder Ecstasy-Psychedelia?) kehren The What... For auf ihrem titellosen ersten LP-Werk (auf Twang!) zu den Ursprüngen des Wörtchens zurück. Damit hat es sich aber auch schon und man stellt sich die Frage, warum man ausgerechnet diese Platte kaufen sollte, wo doch jede Menge Who- oder Kinks -Platten im Ramsch zu kriegen sind. Immerhin begeistert die Detailversessenheit der fünf echt Berliner Jungs, die die Gier nach Authentizität befriedigen. Das geht von der Mundharmonika über die Original-Schweine-Orgel und den Stomp -Rhythmus bis zum 'Bravo'-gemäßen Steckbrief auf dem Cover, den jedes Bandmitglied ausfüllen mußte. Das fördert dann solche echt Berlinerischen Vorlieben wie Kindl, Faßbrause und Currywurst zutage. Und natürlich „mit Musik reich und berühmt werden“. Na, wenn das kein Grund ist, aber ob das so klappt?

toW

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