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Was geschah nach 1945 in Buchenwald?

■ Gab es unter UdSSR-Verwaltung Tausende Tote im ehemaligen KZ? / Erfurter Zeitung bricht mit Tabu

Erfurt (dpa) - Was geschah nach 1945 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald und den anderen der UdSSR unterstehenden Internierungslagern der damaligen sowjetischen Besatzungszone? Dies fragt die in Erfurt erscheinende 'Thüringer Allgemeine‘. Sie bricht damit mit einem bisherigen Tabu in der DDR.

Der Leiter der historischen Abteilung der Mahn- und Gedenkstätte, Röll, antwortet dem Blatt: „Wir wissen heute, daß der sowjetische Geheimdienst im sogenannten 'Speziallager des MWD Nr. 2‘ Menschen unter völkerrechtlich fragwürdigen Umständen internierte. Und wir müssen heute davon ausgehen, daß mehrere tausend Menschen diese Umstände nicht überlebten. Unser Problem als Historiker: Es waren hermetisch abgeriegelte Lager.“ Es gebe nur wenige subjektiv gefärbte - Erlebnisberichte. Die Unterlagen seien wahrscheinlich 1950 in die Sowjetunion gegangen und dort in Geheimdienstarchiven verschwunden, erklärt der Abteilungsleiter.

In allen Besatzungszonen wurden ehemalige Konzentrationslager zur Internierung von einflußreichen Nazianhängern und politischen Gegnern der Besatzungsmacht benutzt. Doch, schreibt Autor Hanno Müller: „Während sich die Betroffenen beispielsweise in den Westzonen in der Regel verantworten, gegebenenfalls ihre Unschuld nachweisen konnten und dann auch wieder freigelassen wurden, verfuhr man in der SBZ entsprechend der erprobten Praxis des stalinistischen Geheimdienstes.“

Herr Stein, Bereichsleiter Forschung in Buchenwald: „Die Einweisungen erfolgten ohne jegliches Recht auf Verteidigung und nur teilweise mit dem Ziel, einen Prozeß zu führen. Über Gründe für die Internierungen wurden weder die Öffentlichkeit noch die Angehörigen informiert. In der Regel kannte man nicht einmal den Internierungsort. Die Internierten durften keinerlei brieflichen Kontakt unterhalten, geschweige denn Besuch empfangen. Damit bekam die Internierung insgesamt eher den Charakter einer Unterdrückungs- und Rachemaßnahme denn den einer rechtlichen Verfolgung von Naziverbrechern.“

Ein heute 85jähriger Mann, früher NSDAP-Ortsgruppenchef und im August 1948 aus Buchenwald freigelassen, berichtet: „Gestorben sind genug, unter anderem an Hunger, Entkräftung, Seuchen.“ Über die damaligen sowjetischen Bewacher sagte er: „Wenn Sie zehn Leute fragen, haben Sie zehnerlei Antworten jeder hat das anders erlebt... Die Russen sind nicht schlecht. Sie waren besser als die Deutschen, auch oben in Buchenwald.“

Zur Zahl der Todesopfer in Buchenwald schreibt die Zeitung, die in einem Blatt genannte Zahl von 13.000 lasse sich weder „ernsthaft belegen noch widerlegen“.

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