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Buna: Gute Menschen und altes Gelumpe

In dem großen DDR-Chemie-Kombinat im Kreis Halle starben letzten Freitag bei der Explosion eines Karbidofens fünf Arbeiter / Bisher schwerstes Unglück in der Werksgeschichte / Erst im Januar hatten die Karbid-Kumpel gestreikt  ■  Aus Schkopau Manfred Kriener

Ofenhaus 3, Gebäude L 17: Nur die zersplitterten Fensterscheiben und einige herausgeschleuderte Mauerbrocken erinnern noch daran, daß hier vor sechs Stunden der Karbidofen 11 der Chemischen Werke Buna explodiert ist und drei Männer in der 2.300 Grad heißen, herausschießenden Masse verbrannt sind. „Eine Identifikation der Leichen war nicht mehr möglich“, sagt Pressesprecher Gerhard Dorendorf und sorgt mit dieser Bemerkung für einen Moment der Stille.

In seinem kleinen Büro, vor den Postern von DDR-Rennwagen mit Buna-Werbung („Plaste und Elaste aus Schkopau“) strampelt sich ein Mann ab, der sich mit einem Übermaß an gutem Willen in einer neuen Rolle versucht: die Öffentlichkeit in Ost und West sachgerecht zu informieren. Nichts von den leeren Sprachregelungen der Medienprofis in bundesdeutschen Konzernen, sondern ehrliches, verzweifeltes Bemühen, seine Sache gut zu machen. Aber kann ein guter Sprecher einen schlechten Betrieb und ein katastrophales Unglück vergessen machen? Die Fakten, die Dorendorf weitergeben muß, sind so schlimm wie der süßliche Gestank und der ganze häßlich-verkalkte Chemiemoloch mit seinem turmhohen Rohr- und Schornsteingewimmel. Der einzige Farbtupfer, ein zwei Meter hoher rot-leuchtender Sowjetstern, ist am 16. Januar vom Hauptgebäude geholt worden. Seitdem ist das Grau ungebrochen.

Drei Arbeiter sind tot, 25 Monteure und Karbid-Kumpel haben bei dem Explosionsunglück zum Teil schwere Verbrennungen erlitten. Am Samstag erliegen zwei weitere Arbeiter ihren Verletzungen. Es ist das bisher schwerste Unglück im größten Chemiebetrieb der DDR. Die unmittelbare Ursache des Unglücks ist noch nicht ermittelt. Die eigentliche Ursache kennt hier jeder: „Nu, was fragen Sie denn noch, Sie kennen doch unsere Misere, ist doch alles Schrott hier“, sagt patzig einer der Alten, der an der Haltestelle auf den Werksbus wartet.

Die Bunawerker der 18.000köpfigen Belegschaft haben um 16.15 Uhr wie an jedem anderen Tag das „Dora-Tor“ verlassen

-nur etwas leiser als sonst. Die meisten haben den Knall um 8.33 Uhr nicht selbst gehört. Sie sind - zum ersten Mal in der Geschichte der Buna-Werke - per Werksfunk über das Unglück informiert worden. „Zweimal haben die das durchgesagt, das gab's hier noch nie“, honorieren die Arbeiter die neue Informationspolitik. Trotzdem: „Da kommen wir nicht drüber weg, schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden“, sagt die Pförtnerin. Man erwartet beinahe Tränen in ihrem Gesicht als sie den Journalisten schließlich „alles, alles Gute“ wünscht und „viel, viel Erfolg“. Inzwischen bemüht sich ihr Kollege engagiert um Gesprächspartner und Hilfe für die wartende Presse. Wieder dieselbe große Anstrengung, alles schnell und richtig zu machen. Bollwerke der Güte in trostloser Umgebung.

Das Informationsmaterial des Betriebes stammt noch aus der alten Zeit. Erst zögernd, aber dann entschlossen gibt es Pressesprecher Dorendorf heraus. „Da finden sie zumindest ein paar Zahlen“, will er helfen und sich zugleich entschuldigen. Denn neben den Zahlen sieht man vor allem den Spitzengenossen Honecker als Händeschüttler und Ordensverleiher. „Traditionsreich“, „erfahren“, „fortschrittlich“, „dynamisch“ zum „Wohle von Menschen, Frieden und Sozialismus“. Buna, das „Synonym für die leistungsstarke DDR-Chemie“: Die SED-Propaganda tut weh angesichts der realen Zustände, angesichts der Toten und Schwerverletzten in dieser heruntergekommenen, gefährlichen Bruchbude.

1936 von IG Farben gebaut, ist Buna seit 1953 volkseigener Betrieb. Erzeugt werden vor allem die Grundstoffe für die Plastikherstellung der DDR, an erster Stelle Acetylen, das zu Lösemitteln und Polyolen „weiterveredelt“ wird. 50 Milliarden Mark industrieller Warenproduktion der DDR hängen an Buna. Aus Koks und Kalk wird Karbid erschmolzen, daraus im nächsten Schritt Acetylen gewonnen.

Noch heute stammen viele Produktionsanlagen aus den 30er oder aus den 50er Jahren. Für Erneuerungen und moderne Technologien fehlte das Geld. „Altes Gelumpe“, beschreibt ein Karbid-Kumpel kurz den Zustand in seiner Produktion. Einige Journalisten konnten sich davon noch selbst überzeugen, bevor die Staatsanwaltschaft das Unglücksgebäude absperrte. „Ich könnte da keinen Tag arbeiten“, lautet die Bilanz eines Kollegen. Weil aber sowieso alles „unglaublich“ aussehe, falle der Unglücksort gar nicht mehr sonderlich auf.

Erst am 16. Januar hatten die Karbid-Arbeiter gestreikt. Ihre Geduld war zuende, wie die Werkszeitung schrieb. Der zweistündige Warnstreik im Ofenhaus L 21 war der erste seit Bestehen des Buna-Werks. In einem Offenen Brief kritisierten die Kumpel die „katastrophalen Umweltbedingungen und die Gefährdungen für die Gesundheit“ an ihrem Arbeitsplatz. Die Kollegen von L 17, die jetzt in dem geborstenen Karbidofen starben, hatten sich mit dem Warnstreik solidarisiert, aber selbst die Arbeit nicht niedergelegt.

Wird es nach dem Unfall zu weiteren Streiks kommen? „Wir werden am Montag wieder reingehen“, sagt ein junger Kollege. „Wir verdienen hier ein gutes Geld, ham Frau und Kinder...“ Er zuckt hilflos die Achseln. 1.500 Mark netto kriegt er raus. Das sei zwar wenig im Vergleich zu „dem Dreck, den ich schlucke“, aber viel im Vergleich zu anderen Betrieben in der DDR.

Den Dreck schlucken auch die Anwohner „in einem der menschenfeindlichsten Bezirke der DDR“, wie die Karbid -Arbeiter in ihrem Offenen Brief schrieben. 8.000 Einwohner der Region haben vor wenigen Tagen auf der ersten Umwelt -Demo von Merseburg gegen den Buna-Dreck demonstriert. Die neue DDR-Regierung hat jetzt die Stillegung von vier Karbidöfen angekündigt. Doch der Unglücksofen ist nicht darunter.

„Wir müssen endlich was für die Umwelt tun!“ Gerhard Dorendorf ballt die Fäuste: „Und wir brauchen einen gewählten Betriebsrat.“ Und die Produktion müsse umgestellt und modernisiert werden. Und, und, und: Der riesige Berg von Zukunftsaufgaben erdrückt das kleine Büro. Wie ist das alles zu schaffen? Da muß auch Herr Dorendorf passen.

An der Wurstbude am Ortseingang von Schkopau trinken einige Bunawerker ihr Feierabendbier. Auch sie beschäftigt der Unfall. „Wenn das Karbid kommt, hast du keine Chance“, versuchen sie die Lage am Ofen zu erklären. „Altes Zeug“, „Flickschusterei“, „Arbeitsschutz ist Glücksache“ wird über die Anlage geschimpft. Viel Bitterkeit und ein kleiner Rest an Hoffnung: „Heute können wir wenigstens die Klappe aufmachen, früher war hier von drei Arbeitern einer bei der Stasi.“

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