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SOZUSAGEN ZIEMLICH SCHÖN

■ Ein Festival des unabhängigen italienischen Kinos im CHIP

Eins schon mal vorneweg: Geht alle da hin! Erstens gibt's keine Schlangen an der Kasse, zweitens gibt's keine aufgeblasenen FestivallerInnen, drittens gibt's genug Karten, viertens gibt's ein Kleinquantum Quasi-Vorstadt-Atmo gratis (wo, wenn schon der Konsul zur Festivaleröffnung salutieren darf, unbedingt auch die Kommunistische Partei grüßen will und Massimo seiner Schwester winkt, während die Heizung gerade mal so vor sich hin röchelt und zwei Dutzend Zuschauer sich in dem auch für deutsch-türkischen Volleyball geeigneten Mehrzwecksaal verlieren...) und fünftens gibt's vor allem offenbar ganz reizende Filme, wie wir sie - trotz aufrichtigster, langjährigster und eingefleischtester Italien-Fanschaft bisher kaum gekannt haben. Alldieweil wir ja sonst immer gern in den abhängigsten Altherrenbildern des Post-Post-Neo- und Quasi-Realismus geschwelgt haben, während uns hier die unabhängige und schon von daher unrealistische Jugend unter die Lider fährt: Was da im Kreuzberger CHIP an sechs Tagen (letzten Sonntag, Montag und heute, sowie nächsten Freitag, Samstag und Sonntag) dezentral und transkulturell kinematographiert wird, kommt nämlich in Form einer halb-repräsentativen Auswahl fast geradewegs (ja, ja, die italienischen Zöllner streiken, weshalb dann doch nicht alle Filme kamen wie sie sollten und das Programm völlig durcheinander geriet...) vom 7. Internationalen Festival des Jungen Kinos 1989 in Turin, und zwar auf Veranlassung des hiesigen Deutsch-Italienischen Freundschaftskreises (D.I.F.) und unter Kostenbeteiligung des italienischen Emigrantenkommitees. Das Festival Cinema Indipendente (nicht Cinema Giovani wie in Turin, weil die Deutschen immer gleich 'Giovanni‘ - nach dem gleichnamigen 'Don‘ - sagen würden), mit Kurz-, Mittel- und Überlang-, Video- und 16mm-Filmen, läuft parallel zur Berlinale, erstens, weil Italien dort so gut wie nicht vertreten ist, und zweitens, in der wenigstens am ersten Abend enttäuschten - Hoffnung, dadurch entsprechende öffentliche Resonanz zu finden.

Denn da es in Italien weder eine staatliche Filmförderung noch überhaupt Off-Kinos oder Fernsehanstalten gibt, die die nichtkommerziellen Produktionen, falls solche dann doch zustandekommen, zeigen würden, ist es ziemlich schlecht um die meist ebenso Unabhängigen wie Unbekannten bestellt, zumal sie eben außerhalb der wenigen Festivals schlicht nicht zu sehen sind. Was ja wirklich schade ist! Jedenfalls die beiden Filme von Daniele Segre, die am Sonntag gezeigt wurden, sahen doch schon recht vielversprechend aus: „Vite da ballatoio“ (Hinterhofleben) und „Occhi che videro“ (was so viel heißt wie 'Augen, die sahen‘ und der Titel eines frühen italienischen Stummfilms ist) sind zwei Dokumentarfilme, die beide gleichzeitig bestimmte Individuen portraitieren und allgemeine Sozial- bzw. Kinogeschichte schreiben. „Vite da ballatoio“ etwa ist ein Film über eine kleine Transvestiten- und Transsexuellen-Kolonie in einem Hinterhof, wo die Freundinnen so alltägliche Probleme wie: „Soll der Schwanz nun ab, oder soll er lieber dran bleiben“ und das, „wo die Lust des Mannes von den Eiern kommt“, miteinander erörtern, aber auch feststellen, daß „die Mutter eben doch die Mutter bleibt“ und sich ansonsten mit Einkauf, ausbleibenden Freiern und Tischdeckenwaschen beschäftigen müssen. „Occhi che videro“ hingegen ist ein Film über die inzwischen über 80jährige Gründerin des Turiner Kinomuseums und über deren Sammlung. Und die Frau sitzt aufrecht da und läßt sich von der jungen Stimme im Off fragen, wie sie ihren Traum verwirklichen konnte. Und sie antwortet: „Das war kein Traum, das war eine Aufgabe.“ Und so völlig unsentimental wie dieser Satz sind auch die Filme.

Gabriele Riedle

Heute um 18.30 Uhr: „Stesso sangue“ ('Eigenes Blut‘), 1988 von Eronico e Cecchi in der Originialfassung (100 Min.).

Um 20.30 Uhr: „Sweet Sugar“, (1987, 3 Min. OF) und „Unnameable Week End“ (1985, 18 Min. OF) von Marco Bonvino, „Biancaneve“ ('Schneewittchen‘) (1989, 18 Min., 0. F.) von Luca Fagioli, „Torino“ (1989, 7 Min. OF) und „Ginco Biloba“ (1989, 7 Min. OF) von Mimmo Calopresti.

Programme für Freitag 18.30 und 20.30 Uhr, Samstag 18.30 und 20.30 Uhr und Sonntag 18.30 und 19.30 Uhr siehe La Vie.

Veranstaltungsort: CHIP, Reichenberger Str. 44, 1/36.

Die Filme sind übrigens auch für AnderssprachlerInnen verständlich, da mit Untertiteln oder Zusammenfassungen versehen.

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