899.000.000 Tramfahrgäste...

■ ...fuhren 1928 mit Berlins Straßenbahnen / In West-Berlin wurde die „Elektrische“ ein Opfer der „autogerechten“ Planung

Alte BerlinerInnen vermögen sich vielleicht zu erinnern: Bis 1935 und dann noch einmal während des Zweiten Weltkrieges war es die Straßenbahn, die nebenbei sogar die Postpakete und Briefbeutel im Verkehr der Berliner Postämter untereinander beförderte. 1928, ein Jahr vor der Gründung des Verkehrsunternehmens, fuhren in der quirligen Reichshauptstadt jährlich 899 Millionen Fahrgäste mit der Straßenbahn - per Autobus dagegen nur rund jeder vierte davon.

Und acht Jahre später, als die Nazis zur Olympiade trommelten, kam es zum bisher nicht erreichten Leistungseinsatz: Den seinerzeitigen Reichskanzlerplatz (heute: Theodor-Heuss-Platz) überquerten zeitweise bis zu 70 doppeltbehängte Straßenbahnzüge je Stunde und Richtung. Zweifellos war die Straßenbahn „das leistungsfähigste Nahverkehrsmittel der damaligen Zeit“, wie die BVG in einem Rückblick zum 50jährigem Betriebsjubiläum einräumte. Gleichwohl fiel bereits 1953 die Enscheidung, im Westteil der Stadt die Straßenbahnlinien allmählich durch Autobusse zu ersetzen.

Zu Beginn des Jahres hatte ein heute ziemlich unverständlicher Umstand zur Einstellung des Linienverkehrs über die Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin geführt: Die BVG (West) wollte auf Grund arbeitsrechtlicher Vorschriften nicht akzeptieren, daß die in die Westsektoren hineinfahrenden Triebwagen von Fahrerinnen gesteuert wurden.

Die BVG-Direktion selbst war es auch, die die Wende zum Autobus einleitete. Sie beantragte beim Senat einen Zwölf -Millionen-Mark-Kredit zum Kauf von 140 Doppeldeckern. Zuvor hatte noch die Absicht bestanden, mit den Geldern 40 neue Großraum-Straßenbahnzüge anzuschaffen. Nun hieß es plötzlich, im Sinne eines neuzeitlichen Straßenverkehrs müsse dem beweglicheren Autobus der Vorzug gegeben werden. Gleichzeitig wurde ein Ausbau der U-Bahn als wichtigste Zukunftsaufgabe angesehen. Ein kaum verhüllter Triumph der damaligen Senatsplaner, die mit Hochdruck an Modellen einer „autogerechten“ Stadt arbeiteten.

Mit der erste Schritt dahin war die Stillegung des Straßenbahnverkehrs auf dem KuDamm. Auf der notdürftig wiederaufgebauten Prachtmeile herrschten schon Anfang der 50er Jahre Verkehrsverhältnisse, bei denen die Straßenbahn „als störend empfunden“ wurde, so der damalige BVG-Direktor Schneider in einem Buch über den halbstädtischen Nahverkehr. Nach Eröffnung der ersten U-Bahn-Neubaustrecke bis Tegel im Mai 1958, war dann bald der gesamte Berliner Norden „straßenbahnfrei“.

Am 2. Oktober 1967 läutete schließlich das Totenglöcklein für die letzte Linie, die „55“ vom Zoo nach Hakenfelde. Proteste gegen die Umstellung gab es von Anfang an kaum: Laut einer Umfrage im Jahre 1959 waren 70 Prozent der Bevölkerung dafür und nur 22 Prozent dagegen...

thok