Pharma-Gifte gefährden Klinikbau

■ Neue Untersuchung bestätigt Grundwasserverseuchung unter Schering-Gelände

Die Folgen der Grundwasserverseuchung unter dem Schering -Werk im Wedding erreichen jetzt auch das einen Kilometer entfernte Universitätsklinikum Rudolf Virchow (UKRV). In der Senatsumweltverwaltung fürchtet man, daß die Bauarbeiten auf dem UKRV-Gelände zu einer Ausbreitung des Schering -Giftwassers führen können. Ein hydrogeologisches Gutachten, das auf Drängen von Umweltsenatorin Schreyer (AL-nah) angefertigt wurde, komme zu dem Ergebnis, daß es zu einer „Auslenkung der Schadstoffe“ kommen könnte, bestätigte Schreyer-Referent Schwilling auf taz-Anfrage.

Der Grund: Wenn auf dem UKRV-Gebäude ab Ende Februar die Baugruben für ein neues großes Klinikgebäude und einen Lehr und Forschungstrakt ausgehoben werden, müssen große Mengen Grundwasser abgepumpt werden; Schwilling sprach gestern von insgesamt 4,2 Millionen Kubikmetern. Die Hydrogeologen fürchten, daß dadurch unter dem UKRV ein „Absenktrichter“ entsteht, der das Schering-Giftwasser ansaugt. Das UKRV soll deshalb nun Meßpegel installieren, an denen der Grundwasserstand täglich abgelesen werden kann. Schwilling: „Wenn sich da was zeigt, müssen die Pumpen abgestellt werden. Dann muß man die Baumaßnahmen stoppen.“

Die Gutachter hätten errechnet, daß das Wasser nur „einige zehn Meter“ weitersickern würde, sagte Schwilling. Weil diese Zahl nur auf einer Modellrechnung basiert, könnte es aber auch „schlimmer“ kommen - oder besser.

Jetzt schon hegt die Umweltverwaltung die „Befürchtung“, daß sich die Grundwasserschäden unter dem Schering -Werksgelände bereits in Richtung Südwesten ausgebreitet haben. Umweltsenatorin Schreyer stellte gestern neue Untersuchungsergebnisse vor, die die im September bekanntgewordene „beispiellose Grundwasserverseuchung“ unter dem Weddinger Pharma-Werk bestätigen. Bis in eine Tiefe von 45 Metern entdeckte die Umweltbehörde Lösemittel „aller Art“ im Grundwasser. Die Perchloräthylen-Konzentration beispielsweise überschreite geltende Richtwerte um mehr als das 400fache. Die bei einer ersten - vom damaligen Senat geheimgehaltenen - Untersuchung entdeckten „männlichen Sexualhormone“ (Steroide) seien „nicht nachgewiesen“ worden, schränkte die Senatorin ein.

Die Sanierungskosten, die laut Schreyer „in zweistelliger Millionenhöhe liegen dürften“ - muß Schering tragen. Eine Pilotanlage zur Grundwasserreinigung soll demnächst in eine dreimonatige Testphase gehen; die endgültige Anlage muß vermutlich mehrere Jahre lang arbeiten, um die Altlast abzutragen. Außerdem sei es wahrscheinlich nötig, den verseuchten Boden „großflächig“ auszutauschen, ergänzte Schwilling.

Die Senatorin lobte die „gute Kooperationsbereitschaft“ des Pharma-Konzerns, aus dessen defekter Kanalisation die Gifte wahrscheinlich stammen. Streit zwischen Schreyer und Schering hat allerdings die Frage ausgelöst, bis wann auf dem Werksgelände ein - besser kontrollierbares oberirdisches Kanalisationsnetz installiert werden kann. Schreyer nennt 1992 als Zieldatum. Bei Schering peilt man das Jahr 1994 an.

Hans-Martin Tillack