: „Nuit et brouillard“
■ „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais
„Nuit et brouillard“ verdient seinen Platz in dieser Retrospektive nicht allein deshalb, weil er seinerzeit ein Politikum war: 1956 Gegenstand einer Bundestagsanfrage der SPD, nachdem ein undiplomatischer bundesdeutscher Botschafter gegen die Vorführung des Films in Cannes interveniert hatte, wurde der Film noch im gleichen Jahr in Berlin in einer Sondervorführung gezeigt.
Dieser berühmte Dokumentarfilm über die Schrecken der Konzentrationslager und über die Unmöglichkeit, ihnen vermittels dokumentarischer Darstellungsweisen beizukommen, ist das Mittelstück von Alain Resnais‘ inoffizieller „Trilogie des Genozids“. Nach „Guernica“ und vor seinem Spielfilmdebüt „Hiroshima mon amour“ hat Resnais seine kardinalen Themen der Zeit und Erinnerung den Ereignissen anverwandelt, die unser kollektives Erinnerungsvermögen am stärksten herausgefordert haben.
Das unvorstellbare Grauen der Lager in einem Kunstfilm aufzuheben, gelingt Resnais und seiner Equipe ohne jede Frivolität. Hanns Eislers Musik setzt verstörend melodische und rhythmische Kontrapunkte, Henri Colpis Montage pointiert in fast dialektischer Weise, die Kamera wird von den Operateuren Sacha Vierny und Ghislain Cloquet mit verschämter Wendigkeit geführt.
Der Kommentar stammt von Jean Cayrol und aus ihm spricht die moralische Autorität des Opfers: er selbst wurde bei Nacht und Nebel nach Mauthausen deportiert, sein Bruder Pierre kam in Oranienburg ums Leben: Voller Trauer entlarvt Cayrols Text die Euphemismen, derer sich die SS bei der Umschreibung ihrer Vernichtungsmaschinerie bedienten, voller Wut beklagt er, wie Menschen zu Objekten werden („Dank deutscher Gründlichkeit wird nichts verschwendet.“)
Resnais vertraut auf das visuelle Oppositionspapier der schwarzweißen Wochenschau- und Dokumentaraufnahmen und der bunten Bildern der Gegenwart: die „friedliche Landschaft“ (Cayrol) der zerfallenden Barracken und Wachtürme, die zerrissenen Stacheldrahtzäune und überwucherten Eisenbahnschienen Auschwitz‘.
Er schafft damit Bilder, die auch ein Appell sind, die kollektive Erinnerung an die Lager der Zeit nicht so schutzlos auszuliefern wie ihre äußeren Merkmale.
Gerhard Midding
„Nuit et brouillard“, Regie: Alain Resnais, Kommentar Jean Cayrol, Musik: Hanns Eisler. Frankreich 1956, 32 Minuten
13.2. Cinema Paris, 18.00 Uhr
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