: Datenschutz zur Demontage der Kontrolle
Geplantes Landesdatenschutzgesetz in Baden-Württemberg fällt hinter Zimmermann-Entwurf zurück / Bürgerinteressen als Rechtfertigung / Massive Kritik von Datenschützerin Ruth Leuze / Oppositionsparteien fordern einschneidende Korrekturen ■ Aus Stuttgart Uwe Rosentreter
Der baden-württembergische Innenminister Dietmar Schlee (CDU) will seinen Entwurf für ein neues Landesdatenschutzgesetz noch in diesem Frühjahr durch den Landtag bringen. Sechs Jahre hat Schlee sich Zeit gelassen, seit das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten Volkszählungsurteil vom 15.Dezember 1983 die Novellierung sämtlicher Datenschutzgesetze angemahnt hat. Die Zurückhaltung war stets damit begründet worden, der Bundesgesetzgeber müsse eine Vorreiterrolle spielen. Der Bonner Entwurf, den seinerzeit noch Innenminister Zimmermann vorgelegte und der vor Jahresfrist im Bundesrat etwa einhundert Änderungsvorschläge provoziert hatte, wird derzeit immer noch verhandelt.
Was lange währt, muß wenigstens ich selbst gut finden - das mag sich Innenminister Schlee gedacht haben, als er seinem Entwurf „fortschrittliche Regelungen“ und „völlig neue Grundlagen“ für den Datenschutz attestierte. Die Landesbeauftragte für den Datenschutz, Dr.Ruth Leuze, hält dagegen: „Solch weitgehende Einschränkungen der Kontrolltätigkeit (von Datenschutzbeauftragten, d.Red.) gibt es nirgends sonst in der Bundesrepubliik.“ Anlaß ihrer Kritik ist das Vorhaben Schlees, die notwendigen systematischen Kontrollen durch die Behörde der Datenschützerin massiv einzuschränken. Bei persönlichen Daten, die dem Steuergeheimnis, dem Arztgeheimnis und dem Personalgeheimnis unterliegen, wird das Kontrollrecht der Datenschutzbehörde von der Einwilligung der Betroffenen abhängig gemacht. Das ist einmalig in der Bundesrepublik. Selbst der Zimmermann-Entwurf schränkt die Rechte der Datenschützer nur für die Fälle ein, in denen Betroffene Widerspruch dagegen erheben. Schlee dagegen sieht offenbar eine Gefahr: daß nämlich die streitbare Datenschützerin Leuze zu „Orwells Großer Schwester“ werden könnte. Sein Hauptproblem: wer schützt uns vor dem Datenschutz? So opfert er eine funktionsfähige Kontrollinstanz zum Schutz der BürgerInnen vor einer Verletzung ihrer Datenschutzrechte durch die Verwaltung und stellt die Sache einfach auf den Kopf: “... daß der Landesbeauftragte für den Datenschutz ansonsten zu einem umfassenden Kontrollorgan würde, das jeden Umgang der öffentlichen Verwaltung mit personenbezogenen Angaben - und damit praktisch die gesamte Verwaltungstätigkeit - überwachen würde“ (aus der Begründung zum Gesetzentwurf). Wie das von Dr.Ruth Leuze geleitete, mit gerade 15 Personalstellen ausgestattete Amt bei einer Zuständigkeit für 8.000 Behörden dies leisten soll, bleibt Schlees Geheimnis.
An der geplanten Novellierung kritisiert die Datenschützerin fer- ner, daß zwar der Grundsatz der Zweckbindung - Daten dürfen nur für den Zweck verarbeitet werden, für den sie erhoben wurden - aufgenommen, die Ausnahmen jedoch allzu großzügig geregelt worden seien. Der Entwurf läßt eine anderweitige Verwendung der Daten beispielsweise zu, „wenn es zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl erforderlich ist“.
Die im Entwurf vorgesehene Befugnis der Datenschutzbehörde zur Kontrolle auch von Akten - neben der Überprüfung von Dateien - wird von Schlee zwar als besondere Leistung hervorgehoben, hat sich mittlerweile jedoch als Standard gesetzlicher Länder-Regelungen durchgesetzt. Dagegen hat der Innenminister nicht auf die im Land Berlin beispielhaft festgelegte Unabhängigkeit der Datenschützer zurückgegriffen. Insofern soll im Südwesten alles beim Alten bleiben: Die Landesbeauftragte für den Datenschutz untersteht weiterhin dem Innenministerium. Darüber gibt es seit Einrichtung der Kontrollbehörde im Jahr 1979 heftige Auseinandersetzungen. Ruth Leuze fordert seit jeher eine Abkopplung und den unabhängigen Status einer Obersten Landesbehörde - eine Forderung, die auch von der Grünen Landtagsfraktion unterstützt wird. Um künftig zu verhindern, daß Datenbestände einfach gelöscht werden, sobald ein Auskunftsersuchen vorliegt (dies war in der Vergangenheit mehrmals geschehen), verlangen die Grünen außerdem eine Löschungssperre, bis die Auskunft erteilt ist. Weiterreichende Forderungen haben die Grünen in einem Änderungsantrag formuliert, darunter die Zulässigkeit einer Verbandsklage, um die Datenschutzkontrolle nicht allein auf den Schultern von Ruth Leuze und ihren MitarbeiterInnen zu belassen.
Kritik kommt auch aus den Reihen der FDP: „Die entscheidenden Positionen enthalten 'Weichmacher'“, so der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Prof.Dr.Ulrich Goll. Im Bereich der Datenübermittlung sei dem Mißbrauch Tür und Tor eröffnet. Während die SPD pauschal „gravierende Änderungen“ des Entwurfs forderte, hat der Landesvorsitzende der ÖTV, Hans-Jürgen Arndt, Innenminister Schlee aufgefordert, sein Papier „schleunigst vom Tisch zu nehmen“, weil es Kontrolle unmöglich mache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen