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Nicht hübsch genug

■ „Schwarzer Schnee“ heißt der chinesischeWettbewerbbeitrag von Xie Fei. Simone Lenz sprach mit dem Haupdarsteller Jiang Wen

Die Weltuhr in der Lobby des Pekinger Yuan Hotels zeigt an, daß Jian Wen mit einer halben Stunde Verspätung kommt. Die Entfernungen in der chinesischen Reißbrettmetropole sind groß. Im vergangenen Herbst ist der siebenundzwanzigjährige zwar in den erlauchten Kreis der zehn beliebtesten Schauspieler Chinas aufgenommen worden, doch noch ist er auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

Blechern hallt der Soundcheck einer jungen Rockband, die sich offensichtlich auf den abendlichen Auftritt vorbereitet, in dem kühlen Foyer. Jiang Wen hat diesen Treffpunkt vorgeschlagen. In der Damentoilette direkt neben der Tür zur Moschee, die sich hier auch eingenistet hat, qualmt ein Räucherstäbchen vor sich hin. Endlich öffnen sich die Glastüren und Jiang Wen's Kopf neigt sich unter einer dicken Wollmütze entschuldigend zur Seite. Er nimmt einen Whisky und wundert sich, daß die Frau aus dem Westen weder trinkt noch raucht.

„Für mich war es die beste Wahl, die ich treffen konnte, nach der Mittelschule bin ich direkt an die Zentrale Akademie für Drama und Schauspiel in Peking gegangen“, kommentiert er seinen Einstieg in die Filmkarriere. „Über die Filme, die ich damals zu sehen bekam, habe ich mich immer geärgert. Ich hatte einfach das Gefühl, laßt mich ran, ich kann das besser. Damals war ich siebzehn, und es gab in China noch nicht viele westliche Filme zu sehen. Ein Vorbild hatte ich also nicht, aber schon in der Grundschule sagte man mir Talent zum Schauspieler nach. 'Er ist bloß nicht hübsch genug,‘ hieß es damals.“ Nicht Schönheit sondern Charisma sei entscheidend, meint Jiang Wen.

Die Rollen, in denen er bislang brillierte (u.a. in Die Stadt Hybiskus, Rotes Kornfeld) rühren an tiefe Gefühle, an sexuelle Tabus. Doch vom Theater herkommend weiß er, daß jede Rolle durch einen anderen Schauspieler auch anders belebt wird. „Gewiß ist es auch eine Frage der Technik - eine komplexe Verbindung zwischen der Persönlichkeit und dem ästhetischen Empfinden des Schauspielers und der Rolle, die er verkörpert.“

Angesichts der gegenwärtigen Kampagne gegen die sechs Grundübel - Prostitution, Pornografie, Frauen- und Kinderhandel, Aberglaube, Drogengeschäfte und Glücksspiele ist es verwunderlich, daß der Film in China überhaupt ins Kino kam. Nicht umsonst wurde in Peking bis Dezember nur eine Kopie verkauft. Die Kinobesitzer rechnen noch mit einer Zensur des vor der Niederschlagung der Protestbewegung fertiggestellten Films. Die 10.000 Yuan, die eine Kopie kostet, wollen sie lieber nicht riskieren. eine einfache Geschichte

Das Kino ist so gut wie ausverkauft. Der Lichtkegel über dem Publikum scheint unmittelbar in den blaugrünen Morgendunst der verwinkelten Altstadt-Gassen zu strahlen, durch die Li Huiqan sein Fahrrad schiebt. Gerade aus der Haft entlassen, sucht er in seiner alten Nachbarschaft wieder Anschluß zu finden. Seine alte Liebe hat unterdessen eine bessere Partie gemacht, und seine Mutter lebt nicht mehr. „Was man braucht sind Freunde.“ Und um die zu gewinnen, muß man stark sein. Li Huiqan kam wegen Körperverletzung ins Gefängnis; hin und wieder macht er auch jetzt noch Gebrauch von seinen Fäusten. Manche Szenen erinnern an Mickey Rourke in Barfly.

Li Huiqan liegt auf seinem Bett und tröstet sich mit einem Heftchen voll draller Blondinen und Alkohol über die Leere in seinen vier Wänden hinweg. Für chinesisches Kino, vor allem aber für chinesisches Zusammenleben auf engstem Raum eine unerhört offene Bildersprache.

Dank unternehmerischer Initiative gelingt es ihm, Dessous auf dem Kleinmarkt zu verkaufen. Spitzen und Nylon-Slips, Errungenschaften der heute wieder so genannten „konterrevolutionären Liberalisierung“. Dennoch hält der Held der Achtziger Jahre an einem Restposten Moral fest: In den Handel mit Pornovideos läßt er sich nicht verwickeln.

Schwarzer Schnee ist ein Versuch, sich mit den Erfahrungen der Öffnungspolitik auseinanderzusetzen, die inzwischen mehr als nur das unwirtliche Pekinger Stadtbild prägt. Der Film erzählt von einer neuen, brutalen Welt, in der das Geld in jede Fuge zwischenmenschlicher Beziehungen dringt . Dem Freund, der seine Schulden nicht zurückzahlen kann, bricht Li Huiqan fast das Genick. Die Liebe der hübschen Sängerin, Zhen Yaqin, (Cheng Lin) die er anfangs zu schüchtern war zu erwidern, vermag er später auch mit einem teuren Geschenk nicht mehr zurückzukaufen. Auch sie hat mittlerweile ihr Glück gemacht und tritt in einer der exklusiven Pekinger Hotelenklaven auf.

Am Ende rennt Li Huiquan allein gegen den Menschenstrom der Pekinger Straßen, einer Gang von Dieben ins Messer. Ein traditionelles Straßentheater räumt gerade ab, als Li Huiqen auf Betonplatten, wie denen auf dem Tiananmen, blutig zusammenbricht.

Wenn dieser, mit seinen zuweilen seichten Unterhaltungspassagen auf den chinesischen Publikumsgeschmack abgestimmte Film des Regiseurs Xie Fei eine Message hat, dann mag es die von der Suche nach dem Glück im Privaten sein. Jiang Wen sieht dies anders. „Nein, nicht jeder braucht in China die Familie“, man könne China nicht durchs Kino verstehen. „Hier werden nur Feinheiten angespielt, die wirklichen Probleme können nicht zum Ausdruck kommen. Schwarzer Schnee geht vielleicht doch etwas tiefer. Der Film kommt von einem dunklen Ende und führt zu einem dunklen Ende. Vergebens versucht sich der Held zu verändern - ein Abstieg, der schließlich zum Tod führt.“ Unklar bleibe indes das Ziel dieses Kampfes. „Viele die den Film jetzt sehen, kämpfen den gleichen Kampf, man bewegt sich vorwärts, kämpft und bewegt sich schließlich zum Ausgangspunkt zurück - besinnt sich bestenfalls auf das, was man sich einmal vorgenommen hatte. Aber das, wogegen man ankämpft, läßt sich nur schwer auf bestimmte Begriffe reduzieren. Der Film transportiert ein Gefühl der Ausweglosigkeit. Von dieser Ausweglosigkeit können auch nicht der heute möglich gewordene soziale Aufstieg oder die Flucht ins Ausland ablenken.“

Wie schon vor der Niederschlagung der Demokratiebewegung und wie jeder Chinese muß sich auch Jiang Wen der politischer Schulung unterzeihen. Ihm bleibt nur wenig Zeit, um sich neben seiner Dreharbeit andere Filme anzusehen. Gerade bemüht er sich um eine größere Wohnung. Bevorzugt behandelt wird er nicht. „Nur eines dürfte ein chinesischer Star mit anderen Stars gemeinsam haben: daß man ihm überall nachjagt.“ Manche der zwanzig Kollegen, mit denen er 1984 den Schauspielabschluß absolviert hat, sind heute Stars, manche nicht, aber jeder verdient das gleiche. Jiang Wen erkundigt sich, ob der Goldene Bär, den Rotes Kornfeld 1988 gewann, ein Geldpreis ist. Er jedenfalls habe für die männliche Hauptrolle keins erhalten. Etwa 3 Millionen Yuan hat das Rote Kornfeld eingespielt, international noch einmal 13 Millionen. Davon gehen 25 Prozent an die Filmstudios in Xian zurück, und den Rest kassiert der Staat, erklärt die Managerin der Filmstudios von Xiang vor der Glasvitrine mit den Trophäen.

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