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Grüner Antisemitismus?

■ Betr.: "Grüne stampfen Gewalt-Broschüre ein", taz vom 7.2.90

betr.: „Grüne stampfen Gewalt-Broschüre ein“, taz vom 7.2.90

Den Grünen den Vorwurf zu machen, sie seien antisemitisch oder würden ihre Argumentation aus Quellen wie dem 'Stürmer‘ schöpfen, wäre tatsächlich aberwitzig, schlicht und ergreifend dumm und bösartig.

Keineswegs dumm oder bösartig aber ist es, ihnen vorzuwerfen, daß sie sich, aus für Außenstehende nicht nachvollziehbaren Gründen, vor einen Karren spannen lassen, vor den sie eigentlich nicht gehören. Daß es Florence Rush kaum für sich in Anspruch nehmen kann, gut recherchierte Fakten auszubreiten, sollte sich längst auch zu Beate Bongartz herumgesprochen haben... das Geschäft dieser Dame ist ein anderes... das Vehikel des „bestgehüteten Geheimnisses“ nutzend, geht es hier um neokonservatives Roll back und Dämonisierung all dessen, was diesen PropagandistInnen neuer (eigentlich aber sehr alter) moralingesäuerter Werte nicht in den Kram paßt.

Daß die Grünen, vor allem die in NRW, auf diesen fahrenden Zug aufspringen, kommt nicht von ungefähr: die Baisse an der Düsseldorfer Koalitionsbörse von 1985, als eine von sozialdemokratischer Seite her initiierte Medienkampagne zum seinerzeitigen „Kindersexskandal“ die Grünen die entscheidenden Prozentpunkte für den Einzug in den Landtag kostete, ist für grüns immer noch ein Trauma, von dem sie sich bislang nicht erholt haben. Von daher kommt es auch nicht von ungefähr, daß sich der Landesvorstand der Grünen in NRW als unfähig erwiesen hat, die vorgebrachte Kritik aufzunehmen, gilt es doch nach dem „Sündenfall“ von 1985 nun zu beweisen, daß man jetzt auf der „richtigen“ Seite steht... so ein bißchen versteckter Antisemitismus schadet nichts, wenn's bloß dem Einzug in den Landtag nützt. Nicht zuletzt diese Reaktion zeigt aber auf, wie weit die Grünen schon verkommen sind: WählerInnenstimmen sind längst wichtiger geworden als Inhalte.

Dieter F.Ullmann, ehem. Sprecher der Bundes AG Schwule, Päderasten und Transsexuelle bei den Grünen, zur Zeit Knast -Berlin-Moabit

Der zitierte Text der Broschüre ebenso wie die halbseidene Reaktion des NRW-Landesvorstandes belegen aufs neue, daß Antisemitismus nicht etwa ein der Rechten zuzuordnendes Phänomen ist, sondern offensichtlich immanenter Bestandteil deutscher Wirklichkeit, durch alle Lager. Der Unterschied liegt allein in der Form der Präsentation. Während die deutsche Rechte, von den Reps bis weit in die CDU, offen antisemitische Ressentiments bedient, zeigt sich der linke Antisemitismus in ehrbarem Gewand und mit reinem Gewissen.

So wird dann ausgerechnet von links die Bagatellisierung des Holocaust betrieben, indem man die getöteten PalästinenserInnen flugs zu den „Opfern der Opfer“ erklärt. Suggeriert wird damit zweierlei: 1. daß der Holocaust übrigens ganz im Sinne der rechten Argumentationskette im HistorikerInnenstreit - zwar schlimm, aber eben nicht unvergleichbar ist, und 2. daß an den vorhandenen Ressentiments ja doch was dran sein muß, gebärden sich Israelis doch heute „nicht anders“ als die Nazis. (...)

Die Tradition des linken Antisemitismus ist so alt wie die Linke selbst. Von Bakunin, der von den Juden sagte, die seien “...eine ausbeuterische Sekte, ein blutsaugendes Volk, allesverschlingende Parasiten, einander fest und innig verbunden“ bis zur taz, die Discos schon mal „gaskammervoll“ findet; von den „Freunden“ von der autonomen Fraktion, die einem nachdenklichen Teilnehmer einer Diskussion über Intifada auch mal ein kerniges „Judenfront raus“ an den Kopf werfen, bis hin zur neusten Glanzleistung der NRW-Grünen zieht sich das Grundbewußtsein, daß die Juden/Jüdinnen (beziehungsweise die ZionistInnen), unser „Unglück“ oder doch zumindest suspekt sind.

Ich finde, daß es an der Zeit ist, daß die deutsche Linke, und hier besonders die Grünen, erkennen, daß Linke nicht qua Definition bessere, tolerantere Menschen sind, sondern daß das „linke Bewußtsein“ nicht nur in Bezug auf den (Gott sei Dank nicht mehr) real-existierenden Sozialsmus stark renovierungsbedürftig ist.

Rolf Keil, Kronberg

(...) In bester faschistischer Tradition wird Antisemitismus und Antijudaismus in einen Topf geworfen, gleich gesetzt, obwohl es sich bei ersterem um die Zuweisung zu einer Rasse (der nach dem Buch Noah auch alle übrigen „weißen“ Menschen zugehören, vergleiche Gen 9 ff) und bei dem zweiten Begriff um eine Religionszugehörigkeit handelt.

Dann wird Prof.Schoeps, ohne dessen politische Richtung einzuordnen (von wegen „erkenntnisleitendem Interesse“ oder haben taz-RedakteurInnen davon noch nichts gehört?) zitiert, daß die von der Autorin der Broschüre verwandten Materialien „aus dem Zusammenhang gerissen und entstellt wiedergegeben wurden“ und daß dies nur „antisemitische Quellen gewesen sein“ könnten.

Da ich als Christin nichts davon halte, Gewalt, die von Menschen gegen Menschen verübt wurde und wird, zu verschweigen, kenne ich auch in diesem Bereich keine Tabus. Deshalb schlage ich die Bibel auf, das Alte Testament, das Grundbuch der Juden und Christen, von dem laut Jesus nicht „ein Jota oder Strichlein“ vergehen darf und dort lese ich: Vom Vergewaltigungsgebot des Jahwisten Gen 3, 16; vom Frauenraub Gen 6, 1 f, von Abraham als Zuhälter Gen 12, 10 ff, von dem Verkauf der Tochter als Sklavin Ex 21, 7 bis 11, von dem Gesetz zur Tötung weiser Frauen Ex 22, 19 (darauf beriefen sich die „Hexenmörder“ zu Beginn der Neuzeit).

Vergewaltigungsberichte, Zerstückelung von Frauen, Inzest, dem Raub der Bewegungsfreiheit zum Zwecke der hemmungslosen Ausnutzung weiblicher Gebärfähigkeit, erzwungene Ersatzmutterschaften von als minderwertig eingestuften Frauen usw. Das alte Testament ist voll davon. Die männliche Perspektive bestimmt diese Schrift, die die eigentliche Grundlage unserer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft ist, und darin unterscheiden sich Juden nicht von Männern, die vorgeben, Christen zu sein.

An diesem Vorfall wird einmal mehr deutlich, daß Philosemitismus nur die Kehrseite des Antisemitismus ist und nichts dazu beiträgt, eine menschenwürdige Gesellschaft herbeizuführen. (...) Renate Wußing, Braunschweig

Frauen haben mit Nachdruck über die letzten Jahre die alltägliche Gewalt - sexueller Mißbrauch an Mädchen - von Vätern, Stiefvätern, Großvätern, Onkeln und Freunden der Familie endlich ein Stück weit an die Öffentlichkeit bringen können. Noch immer verschließen Männer und Frauen ihre Augen vor dieser Gewalt, sie wollen diese Ausübung von HERRschaft nicht wahrhaben.

Unter anderem haben grüne Frauen eine Broschüre herausgegeben, die darüber aufklären will. Ich habe diese Broschüre nicht gelesen, auch habe ich nicht den Talmud studiert. Trotzdem nehme ich mir das Recht, Kritik zu üben. Ich mag mich nicht länger auf die patriarchalen Spielregeln einlassen, die da heißen, Frauen dürfen erst mitreden, wenn sie sich in dem vorher von Männern definierten Rahmen auskennen. Das heißt, Männer haben sowohl die Macht, den Rahmen zu definieren, als auch, wann sich andere (hier: Frauen) auskennen.

Walter Jacobs benutzt in seinem Artikel die Worte „bedauern“ und „bereuen“. Mir fällt als Frau in unserer christlich-patriarchal geprägten Gesellschaft zu Reue Sünde ein. Welche Sünden eigentlich? Ist es Sünde, über die grausame Wahrheit aufzuklären? Aber ich vergesse, grausam ist es ja „nur“ für die Mädchen, nicht für die Täter.

Julius H.Schoeps, Professor für deutsch-jüdische Geschichte, meint, Frau Bongartz habe die Zitate „aus dem Zusammenhang gerissen und entstellt wiedergegeben.“ Außerdem habe sie den Talmud nicht studiert und dürfe deswegen nicht zitieren. Sicher, ich habe nicht in der Zeit gelebt, in der die Zeilen der Mischna und Gemara geschrieben worden sind, auch nicht im 12.Jahrhundert des Mose Maimonides, der die talmudischen Texte kommentiert hat. Aber Prof.Schoeps auch nicht.

Wenn ich im günstigsten Fall, günstig für die damaligen Mädchen, annehme, daß es sich in den alten Schriften nicht um reale Gewaltereignisse gehandelt hat, sondern um symbolische Bilder, die für etwas anderes stehen, so muß ich mir trotz alledem oder gerade deswegen folgende Fragen stellen: „Wie kommen solche Bilder zustande?“ „Wer hat ein Interesse, diese Form der Darstellung zu benutzen?“

Der Vorschlag von Gisela Wülffing, über den Zusammenhang von feministischer Theorie und christlichem Antijudaismus zu diskutieren, sollte auf alle Fälle umgesetzt werden. In dieser Diskussion will ich jüdische Männer, genauso wie andere, wegen ihrer HERRschaftsausübung kritisieren und sie nicht mit Glacehandschuhen anfassen. Auch jüdische Männer können Täter sein und nicht nur Opfer.

Jutta Römermann, Bremen

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