: Schauplatz Hinterhof
■ Gerhard Kleins und Wolfgang Kohlhaases „Berlin um die Ecke“
DDR-Tresorfilme im Forum, heute: Berlin um die Ecke von Gerhard Klein und Wolfgang Kohlhaase.
Die Filmemacher hatten nur geliefert, was man von ihnen verlangte: Gegenwartsfilme. Nichts anderes wollte in den 60er Jahren das Kulturministerium von der DEFA: lebensnahe, problemreiche Filme mit Werktätigen als Helden. Ende der 50er Jahre waren Kleins und Kohlhaases Produktionen noch unerwünscht, weil sie zuviele Hinterhöfe zum Schauplatz wählten, wie etwa in „Berlin - Ecke Schönhauser“. Danach, so berichtet Drehbuchautor Kohlhaase vergangene Woche in Ost -Berlin, wurden zwei Jahre lang die schlechtesten DEFA-Filme gedreht. Tatort Fabrik, ein positiver Held und ein negativer und „weil's keine Probleme gab, passierten immer Betriebsunfälle.“
Dann plötzlich die Bitte um Lebensnähe. „Aber im Grunde“, so Kohlhaase, „wurde etwas verlangt, was man gar nicht wollte“. Dabei hatte Klein im Sommer 66, ein halbes Jahr nach dem 11. Plenum, die berechtigte Hoffnung, sein Film käme durch. Als Abgeordneter der Volkskammer kannte er Margot Honecker und er zeigte ihr die Rohschnittfassung von Berlin um die Ecke. „Mach dir keine Sorgen Gerhard, es wird“, soll sie gesagt haben. Aber dann wurde Frank Beyers Spur der Steine auf den Potsdamer Arbeiterfestspielen gezeigt und FDJler sowie Betriebskampfgruppen störten gezielt die Vorführungen. Zusammen mit Beyers Film landete auch Berlin um die Ecke im Panzerschrank, bis 1987. Im Rahmen der 750-Jahrfeier durfte er in wenigen Sondervorstellungen gezeigt werden.
Der Protagonist: Olaf. Kantiges Gesicht, breiter Mund, zu kleine Augen - keine Schönheit. Aber er hat eine Lederjacke, das verschafft ihm Respekt in der Jugendbrigade. Olaf verliebt sich in Karin, sie singt im Tanzklub und lebt in Scheidung. Hin und wieder fälscht Olaf seinen Lohnzettel, aber auch sonst läuft vieles schief im Betrieb. Vor allem fehlt es an 18er-Muttern. Olafs dienstältester Kollege hat wie die Jugendlichen was gegen Schlendrian und Mißwirtschaft, notfalls dreht er die 18er-Muttern selbst.
Eines Tages fällt der Alte tot um: Herzinfarkt. Berlin um die Ecke erzählt viele Geschichten und keine richtig. Am Anfang ist es eine nüchterne love-story zwischen Olaf und Karin, dann ein Produktionsfilm mit dramatischer Betriebsversammlung und Kritik am Fehlen des Materials und veralteten Maschinen, zwischendurch noch die Tragödie des alten Mannes und zusätzlich ein bißchen Generationskonflikt zwischen dem verbitterten Parteisekretär und der draufgängerischen Jugendbrigade.
Berlin um die Ecke zerfällt in Episoden, ohne ein Episodenfilm sein zu wollen, eine sich verzettelnde Erzählung, die vom immer wiederkehrenden Schauplatz Straßenecke nur mühsam optisch zusammengehalten wird. Der Film ist Stückwerk voller gut - und ernstgemeinter - also unfreiwillig komischer - Schauspielerei: er lebt vom zweifelhaften Charme einer Laienspielgruppe. Wäre er damals gelaufen, er hätte vermutlich mäßigen Erfolg gehabt und wäre schnell vergessen worden. Aber dieses ihm - wie jedem Film zustehende Recht war ihm verwehrt. Was denn 1966 überhaupt in die DDR-Kinos kam, nachdem fast alle DEFA-Produktionen verboten worden waren, wurde vergangene Woche in der Ost -Berliner Akademie gefragt. „Die Reise ins Ehebett“ ein Film über Eichmann, ein Zirkusfilm und der erste Indianerstreifen, erinnern sich die Filmemacher.
Christiane Peitz
Gerhard Klein: Berlin um die Ecke. Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase, mit Dieter Mann, Erwin Geschonnek, Hans Hardt -Hardtloff
15.2. Arsenal, 20.00 Uhr
16.2. Akademie, 12.00 Uhr
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