Kinowahrheit

■ Zur „ersten freien rumänischen Wochenschau“ im Panorama

Auf der Pressekonferenz mit den tschechischen und rumänischen Dokumentarfilmern steht ein Kameramann. Ich weiß nicht, ob Tscheche oder Rumäne. Er filmt mit einer uralten Arriflex. Die Kamera surrt so laut, daß man kaum noch verstehen kann. Das Geräusch gab es noch nie auf der Berlinale. Die Filmemacher auf dem Podium sagen, ihre Produktionen seien filmische Geburtsurkunden für die neue Tschechoslowakei, das neue Rumänien.

Vorher im Kino, ein seltsames Erlebnis. Die Bilder von den Demonstrationen, von den Panzern, die in die Menge fahren, von den Blumen und Kerzen vor der bis an die Zähne bewaffenten Polizisten-Phalanx, kenne ich aus dem Fernsehen. Aber so groß, in Farbe und mit Musik ist es keine Nachricht mehr. Die Leinwand - das Medium für fiction - macht sie wirklich. Es ist alles wahr, was in den Zeitungen stand.

Dabei sieht die „erste freie rumänische Wochenschau“ aus wie die Wochenschauen früher. Ein Propagandafilm - wie auch die tschechische Dokumentation Die sanfte Revolution mit schwülstigem Pathos, nur daß die Begriffe vertauscht sind. Jetzt heißen die Securitate-Leute Terroristen und die Ceaucescus waren „tollwütige Geschöpfe“. Der Schluß: „Laßt uns mit Tränen in den Augen dem Sieg zulächeln“. Dokumente einer Zwischenzeit: Der off-Kommentar in klassischer Kriegsberichterstattermanier ist hastig gesprochen. Die Geschwindigkeit paßt nicht zur alten Sprache. So viel ist zu sagen - keine Zeit für neue Ästhetik.

Alles will gezeigt sein in 20 Minuten. Die Menschenmassen auf den Straßen und Plätzen von Bukarest, auf Panzern und Leiterwagen, Kipplastern und Betonmischern. Das unterirdische Tunnelsystem unter dem Palast des Conducators. Der Spielzeugpanzer auf Ceausescus Nachttisch. Die Beinstümpfe im Krankenhaus. Die Leichen. Aufgeschnittene Kehlen, gedunsene Bäuche über offenen Hosen, verstümmelte Gesichter, starre, blutige Augen. In der nächsten Szene fliegt eine weiße Taube in den Himmel - die versöhnliche Sequenz macht die Bilder noch unerträglicher.

Eine Blutlache im Hauseingang. Das Blut ist noch frisch, aber schon dick geworden, wie Ketchup. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis Blut gerinnt, der Kommentar sagt es nicht. Die Passanten werfen Münzen in die zähe Masse, wie in die italienischen Brunnen. Bilder, die ich nicht begreife, die Wochenschau hat sie verschnitten - Material, wie gewöhnlich.

Zwischen den Wochenschaumachern und den tschechischen Dokumentaristen sitzt Karel Vachek, der Regisseur des 68er Dokumentarfilms Wahlverwandtschaften. Er durfte seitdem keine Filme mehr machen. Zwanzig Jahre war er Heizer. Nach seiner Meinung über die aktuellen Filme befragt, zögert er mit der Antwort, setzt an, stockt, schüttelt den Kopf, reibt sich mit zitterndem Finger an der Schläfe. Er darf jetzt wieder Filme machen, aber „ich bin 14 Tage rumgelaufen und konnte die Kamera nicht anfassen“. Man müsse warten, bis die Zeit der intensiven Emotionen vorbei ist. Er sagt nicht, daß er die Filme schlecht findet. „1968 waren alle Politiker unsicher und fröhlich“, erzählt er später. „Der Ministerpräsident hat mich wie seinen Kumpel begrüßt. Ich hatte meine Zweifel. Ich wollte mit meinem Film zeigen, daß ich so frei bin und so gleich wie der Ministerpräsident“. Er müsse heute lachen, wenn manipuliert wird. Anscheinend mißtraut er seinen Kollegen.

Christiane Peitz

Die Wochenschau läuft zusammen mit „Die sanfte Revolution“: 15. Urania, 14.00, 16. Filmpalast 14.00