: Mitläufer Gaus
■ Im DDR-TV begann der Ex-Diplomat seine Befragungen
Der Osten wird endlich Kolonie: Biedenkopf erobert die Lepiziger Uni, die DDR-SPD hat Wahlkampfstrategen eingeflogen und Günther Gaus nimmt seinen Ost-Kollegen die Arbeit weg. Als ob sich nicht im eigenen Land ein kompetenterer Interviewer finden ließe. Hat Gaus gezwungenermaßen früher mit Honnecker bei Diplomatenjagden Hasen geschossen, befragt er jetzt freiwillig die Opfer von dessen Geheimpolizei: „Was hat sie veranlaßt zum Opponenten zu werden?“ Friedrich Schorlemmer aus Wittenberg (vom CDU -nahen „Demokratischen Aufbruch“ zur DDR-SPD-Linken konvertiert) ist zu einem der beliebtesten Politentertainer avanciert und läßt sich von Gaus glatt als „Wortführer der Opposition“ vorstellen.
Mit dieser Rolle kokettiert der Pfarrer und kann so schön predigen: „Ist denn irgendjemand nicht mitschuldig geworden in diesem Land?“ Gaus bemüht den „gebrechlichen hinfälligen Menschen“, um das Phänomen des Mitläufers zu erklären. Schorlemmer stöhnt, wackelt hinter Gausschen Rauchschwaden mit den Füßen und trommelt nervös mit den Fingern. Ansonsten erfährt man nichts Interessantes zur Person, statt dessen werden die Plattitüden dieser Tage zur deutschen Gemütslage ausgebreitet. Gaus schiebt Schorlemmer Träume vom Sozialismus unter, und der macht beschämt das Wort „sozial“ draus. „Wenn doch die Partei ein bißchen eher auf uns gehört hätte...“: Die stärkste Identität mit dem Volk hatte Schorlemmer gespürt, als er am 4. November 1989 am Alexanderplatz die phantasievollen Losungen auf den Transparenten des Volkes las. Seitdem ist auch er vom Volk enttäuscht. Seine eigene Phantasie hinkt indes hinterher, vielleicht hätte er sonst sein Gegenüber mal fragen können: „Herr Gaus, was hat Sie denn veranlaßt, nicht zum Opponenten zu werden?“
Rüdiger Rosenthal
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