: Moks mit hehren Zielen
■ „Liebe Jelena Sergejewna“ von L. Rasumowskaja / Premiere im MOKS
Langsam sich steigernde SchauspielerInnenleistung und eine einfallslose, brave Inszenierung des gesellschaftskritischen Gegen
wartsdramas „Liebe Jelena Sergejewna“ wurden bei der Premiere am Mittwoch im MOKs geboten. Zum Inhalt: Was zuerst wie eine harmlos-fröhliche Geburtstagsüberraschung von einer Schülerin und drei Schülern einer 10. Klasse bei ihrer Lehrerin beginnt, entpuppt sich sehr bald als grausam kalkulierte Aktion. Die Schüler wollen von ihrer Lehrerin mit allen Mitteln den Schlüssel vom Schulsafe erpressen, um ihre Prüfungsarbeiten zu korrigieren. Gegen die immer gewalttätiger werdenden Erpressungsversuche der SchülerInnen bemüht sich die Lehrerin letztlich erfolglos, ihre Ideale zu verteidigen.
Das Stück der 1948 geborenen Dramatikerin Ljudmila Rasumowskaja, die eben wegen dieses Stückes als „Schwarzmalerin“ und „farblose Alltagsschriftstellerin“ von Anfang bis Mitte der 80er Jahre mit Aufführungsverbot belegt wurde, hätte mehr verdient als diese phantasiearme Inszenierung.
Auf der unverändert bleibenden, naturalistischen Szenerie ei
ner typischen sowjetischen Einzimmerwohnung bewegen sich die zwei Schauspielerinnen und drei Schauspieler zunächst hölzern und aufgesetzt. Dabei wirkt vor allem die Überraschung der Lehrerin zu einstudiert und deshalb nicht glaubhaft. Mit der wachsenden Dramatik des Stückes konnten sich jedoch die SchauspielerInnen steigern und mehr überzeugen. Die Lehrerin als typische Vertreterin der 60er Jahre Generation mit der ihr eigenen Borniertheit, die sich auf ihre „revolutionäre“ Vergangenheit, nicht aber Gegenwart stützt. Die nicht begreift, warum ihre hehren pädagogischen Ziele ihre SchülerInnen nicht erreicht haben und warum sie von ihren SchülerInnen auf ihre Funktion als Repräsentantin eines verbrämten sozialdarwinistischen (Schul-) Systems beschränkt wird. Die sich der paradoxen Lage nicht einmal bewußt ist, in der sie sich befindet: einerseits Humanismus, Ehrlichkeit und Liebe wie „ein Leitartikel im Rock“ zu propagieren und andererseits sich auf ein selektionistisches, mit engen büro
kratischen Machtstrukturen ausgestattetes System nicht nur eingelassen, sondern sich mit ihm identifiziert zu haben. Darstellerisch überzeugend nur in der Szene, wo die Lehrerin nach der Leibesvisitation in der Haltung des Gekreuzigten für einen Moment vorne an der Bühne verharrt und dann zusammenbricht.
Die im Stück angelegte spielerische Umsetzung der vier SchülerInnen als personifizierte Verweigerungsformen bzw. Opfer dieser Erziehung gelang in ihrer Tiefe nur dem Darsteller des Pascha, Martin Leßmann. Zu oft wirkten die Dialoge wie Deklamationen. Es lag wohl vor allem an der ausgezeichneten und kritischen Textvorlage, die von allen UDSSR spezifischen Anspielungen befreit war, und dem brutalen und desillusionierenden Ende, daß die gut 50 überwiegend der 60ziger Jahre Generation entstammenden Zuschauer nach 1 1/2 Stunden etwas beklommen applaudierten. Ursula Lübb
Vom 23.2. bis 3.3.1990 (außer 25. und 26.2.) um 19.30 im MOKS, Dechanatstraße 13-15 zu sehen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen