: Honeckers letzte Rache: Asbest im Palast!
■ Palast der Republik ist asbestverseucht / Palastleitung räumt ein, daß die Grenzwerte „an einigen Stellen“ überschritten sind / Behörden ordnen rasche Sanierung an / Westberliner Firmen sollen helfen / Abriß nicht ausgeschlossen / Volkskammer ahnte von nichts
Ein schwerer Schlag für die noch junge Demokratie in der DDR: Der Palast der Republik, Sitz der Volkskammer und beliebtes Besucherziel in der Hauptstadt, ist asbestverseucht. Selbst einen Abriß von Honeckers Renommiergebäude wollen die Behörden nicht ausschließen. Bei Messungen haben sie nämlich Konzentrationen des krebsverdächtigen Materials entdeckt, die den DDR-Grenzwert von 800 Fasern pro Kubikmeter überschreiten. Seit zwei Tagen hat der Technische Direktor des Palastes, Güntzel, das Meßprotokoll in der Hand: „An einigen Stellen“, bestätigte Güntzel gestern auf taz-Anfrage, seien die Werte „drüber“.
Wie hoch die Konzentration der ungesunden Fasern ist, wollte allerdings weder die Palastleitung noch die Bezirkshygieneinspektion (BHI) verraten. Wolfgang Clemens, Leiter der Behörde: „Wir haben Maßnahmen eingeleitet, um das sorgsam zu sanieren.“ Anfang der Woche habe er den „Auftrag“ an die Palastleitung rausgegeben, sich „kurzfristig“ um die Asbestsanierung zu kümmern. „Wir haben empfohlen“, so der BHI-Leiter, „mit Westberliner Firmen zu spechen.“
Die Ostberliner suchen eine Lösung auf Weltniveau - für ein weltweit bekanntes Problem. Nach einem in den 70er Jahren „international üblichen Verfahren“ (Clemens) wurde auch in dem 1974 bis 1976 errichteten Republik-Palast reichlich Spritzasbest verwendet, um die Stahlbetonkonstruktion vor Bränden zu schützen. Mittlerweile sei jedoch auch hier das Asbest teilweise beschädigt, erläutert der BHI-Chef; Fasern können sich freisetzen. „Wo es sich machen läßt“ müsse man das Asbest nun verfestigen oder isolieren, ansonsten aber entfernen, rät Clemens. „Ich möchte hoffen, daß man den Palast nicht abreißt“, versichert der Hygieneinspekteur. Ausschließen will er einen solchen Schritt, den der Westberliner Senat bei manchen Schulgebäuden ergriffen hat, freilich nicht. Ein Trost bleibt den Ostberlinern: Der Palast ist in der Hauptstadt das einzige größere Gebäude mit solchen Problemen.
Palast-Direktor Güntzel ist immer noch optimistisch. Beim Bau des aufwendigen Palastes habe man „von vornherein“ für eine „Oberflächenversiegelung“ des Faserstoffes gesorgt, beruhigt der Direktor. An einigen Stellen, das räumt Güntzel ein, „bricht“ mittlerweile allerdings die Versiegelung „auf“. Zusammen mit Westberliner Fachleuten sollen Gutachter nun weitere Messungen vornehmen und klären, in welcher Form saniert werden muß. Spätestens im Mai, so die Forderung von Clemens, müßte die Sanierung losgehen. Umsichtig hat die Direktion im Terminkalender des Palastes, in dem jedes Jahr an die 1.000 Veranstaltungen steigen, schon „Zeit freigehalten“.
Eile ist wohl auch geboten; denn seit dem Umbruch in der DDR wachsen dem Palast neue Aufgaben zu. Unter Honeckers Regime war das protzige Gebäude vor allem Kultur- und Freizeitpalast: 1.000 Räume, 13 Cafes und Restaurants, ein Theater, ein großer Saal mit 5.000 Sitzen sowie Geschäfte und Dienstleistungseinrichtungen lockten die Besucher an. 70 Millionen Menschen wurden seit der Eröffnung im April 1976 durch die Hallen gelotst. Das DDR-Parlament „Volkskammer“, das hier ebenfalls seinen Sitz hat, durfte unter dem alten Regime nur zwei- bis dreimal im Jahr zusammentreten.
Das hat sich gründlich geändert; die Sitzungszahl erreicht West-Niveau. Weil sie in den Wahlen am 18.März wohl abgewählt werden, sind die heutigen Abgeordneten nicht mehr lange gezwungen, ihren Fuß in den Palast zu setzen; doch die neuen Parlamentarier müssen zumindest so lange ausharren, wie die DDR ihre Souveränität bewahren kann. Erst durch eine taz-Anfrage erfuhr Bernhard Tschernig, der Pressechef des sich auflösenden Parlaments, von der Asbest-Gefahr. „Im Augenblick“, vermutet er, „hat keiner einen Kopf dafür.“
Hans-Martin Tillack
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