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WHISKEY LÖST DIE ETIKETTE(N)

■ Die Baritonin Daniel Samar im Unart

Die Baritonin kehrt von strapaziösen Tourneen zurück in ihren blauen Salon. „Heim“ heißt es im Programm, dabei ist es das Berliner Debüt des Schaupielers Daniel Samar, der drei Jahre lang mit seinem Bandprojekt „Die Genies“ die Bundesrepublik mit der „eigenwilligen Interpretation fremder Autoren“ - so die eigene Beschreibung - beglückte.

Als alleinstehende Dame hat es Daniel Samar selbstredend schwer: Das Personal ist nicht mehr das, was es früher einmal war, der Impresario ist ein anstrengender Mann, der empörende Ideen vom Management hat. Hunderte untreuer Verehrer, Sorgen um die Menge von Geld und vor allem um die von Applaus und ach, das Leben als solches und überhaupt davon kann die sensible Baritonin dem Publikum in ihrer Soiree ein langes Lied singen.

Sie ist eine Dame von Welt. Mit Dampfer, Eisenbahn und Flugzeug bewegt sie sich um die Weltkugel. Ihr blauer Salon ist mit einem elegant schimmernden Paravent aus der Hand des Unart-Meisters Jens Hass eingerichtet, ihre Garderobe von auserlesener Extravaganz. Türkis leuchtet der Hosenanzug unter dem seidigen Umhang, silbern glänzen der Hut mit den falschen Federn und die großen Ohrgehänge. Zum Lebensstil gehören natürlich auch der Butler Jimmy, ein „Mann mit Vergangenheit“, den, stoisch unrasiert, Heino Lampel spielt, und Henriette, Tonbandmaschine mit Yves-Klein-blauen Brüsten auf den Spulen.

Der Daseinszweck einer Baritonin ist das Singen. Deshalb gibt Daniel Samar Lieder zum besten, Lieder, die von Liebe, Seemännern, bösen Frauen und schlechten Männern handeln, aber auch von der lustigen Tuntenhatz in Bayern, Lieder von Brecht, Kreisler und die eigenen Texte. Die schlanken Finger fassen zierlich das Mikrofon und bewegen sich exaltiert rund um das sorgfältig geschminkte Gesicht mit den langen Koteletten - die Diva wäre perfekt, wenn ihr Agent sie nicht pausenlos durch die Konzertsäle hetzen würde, als Vorgruppe für die Toten Hosen zum Beispiel. Nicht nur, daß ihr da die Bierdosen um die Ohren flogen, nein, darunter leidet natürlich auch die Stimme, die so voll des Timbres sein möchte. Schon ahnend, was sich ihr bieten wird, studiert die Baritonin also die Zeitungstexte armseliger, verkniffener Pressehansel, die herumhacken auf dem Verfehlen des rechten Tons und auf mancherlei ungeschicktem Knittelvers. Damit hat Daniel Samar den echten Pressehanseln die Arbeit schon abgenommen.

Schöner als die Chansons sind nämlich die Momente zwischen ihnen, wenn die Baritonin ihre Intimitäten preisgibt und Anekdoten von Johnny, dem reizenden Neunzehnjährigen, ausplaudert. Die ewige Jagd nach Liebe entpuppt sich als Sisyphosarbeit, derweil das Älterwerden droht. Schon sieht sich die Diva als verarmte Alte, deren einstige Schönheit nicht einmal mehr zu ahnen ist, allein über die Reeperbahn schleichen.

Statt in Champagner zu baden, ertränkt die Einsame ihren Liebeskummer in Whisky. Ertragen lassen sich die Schröcklichkeiten des Lebens nur mit Selbstironie und dem Festhalten am eigenen Bild von der Diva. Dazu braucht es das Kunststück, Eskapaden auszuleben, um aus dem bloßen Existieren intensiv erlebtes Dasein zu machen, und gleichzeitig die Contenance zu bewahren. Denn die benötigt eine Diva auch in den neunziger Jahren, um als Diva zu gelten.

Diese Aufkleber des Stardaseins sind wohlbekannt. Und wären nicht mehr als hübsch, wenn Daniel Samar die Vorstellung nicht langsam auf einen dramatischen Höhepunkt zusteuern ließe. Stück für Stück legt die Baritonin ihre glitzernden Attribute ab, um schließlich im ernst geschnittenen schwarzen Anzug vor dem Publikum zu stehen. Denn es hat sich herausgestellt, daß „das Leben nur Beschiß ist“: in Amsterdam, in Calais und Marseille - überall - sauft, was das Zeug hält! Endlich, endlich läßt sich auf die Etikette pupen, und Daniel Samar kann „Amsterdam“ herauskotzen, heftiger und angewiderter, als es Jacques Brel je vermocht hat. Denn auch eine Baritonin ist nur ein Mensch.

Claudia Wahjudi

„Huiiii, ich bin der böse Feind“ im Unart bis zum 26. Februar, Fr, Sa und Mo jeweils 21 Uhr, So 17 Uhr

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