: Augsteins unschöne Züge
■ S T A N D B I L D
(Streit ums einig Vaterland, Mi, ARD, 23.45 Uhr) Augstein gegen Grass. Anschluß gegen Konföderation. Der Herausgeber saß grantlig im Sessel, kläffte alle zwei Minuten kurz und kräftig und mimte den Realpolitiker schlimmster Prägung. Der Dichter beugte sich vor und mühte sich redlich und beredt. Wer die Beiträge der Kontrahenten gelesen hatte, erfuhr wenig Neues.
Grass will, daß in der deutschen Frage „die große Schwelle Auschwitz mitgedacht“ wird, er will eine „erträgliche Form der Einheit, jenseits der Wiedervereinigung“. Für die Deutschen sei das förderative Element das glücklichere, deshalb die Konföderation. Augsteins wichtigste Argumente: 1. Der Zug zur Wiedervereinigung ist schon abgefahren, 2. Der Zug zur Wiedervereinigung ist schon abgefahren, 3. Der Zug zur Wiedervereinigung ist schon abgefahren. Daß ein außer Kontrolle geratener Zug, der immer schneller rast, kein guter Zug ist, schien ihn nicht zu stören.
Mit Auschwitz kann man Augstein schon gar nicht kommen, denn „niemand kann Auschwitz fürchterlicher finden als ich“. Nachdem er sich selbst in die erste Reihe der aufrechten Vergangenheitsbewältiger gestellt hatte, fielen ihm die nächsten Sätze leichter: „Auschwitz wird automatisch durch die Geschichte relativiert.“ Man könne Auschwitz „nicht perpetuieren“, es sei nicht möglich, die Schrecken dieser Vernichtungsmaschine unseren Kindern zu vermitteln. Da blieb dann nur noch ein gradueller Unterschied zur Stammtischweisheit, daß man doch mit diesem dunklen Kapitel endlich Schluß machen solle. Wer Deutschland wegen Auschwitz teilen wolle, der müsse auch Japan teilen und die USA, zischelte der 'Spiegel'-Mann.
Der real existierende Vollzug der deutschen Wiedervereinigung blieb weitgehend ausgespart. Grass warnte zwar davor, daß die „bundesdeutsche Dampfwalze“ die DDR überrollen könnte, aber er bezog dies noch auf die ferne Zukunft und nicht auf die aktuelle Bonner Gegenwart, wo genau dies schon begonnen hat. Gibt es eine DDR-Identität, die es wert ist, sie zu bewahren? Schon die Frage ist eine Zumutung. Aber es zeigte sich erneut, wie fremd uns die DDR -Werte jenseits von Kindergartenplätzen und Christa Wolf eigentlich sind.
Blieb schließlich Grass‘ Angst vor den 80 Millionen, vor der neuen deutschen Gesamtpower, die unsere Nachbarn an die Wand drücken könnte. Doch auch hier war Rudi nicht ratlos. Die deutschen Nachbarn und Freunde hätten kein Recht, sich der Einheit in den Weg zu stellen, denn die hätten doch selbst „genug Mist gebaut“. Großbritannien in Falkland, die USA in Grenada. Ergo: Dann dürfen wir auch Mist machen.
Manfred Kriener
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