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Stoltenberg ist fällig

■ Der Langzeitminister dürfte die U-Boot-Affäre politisch nicht überleben

Seit gestern ist der „kühle Klare aus dem Norden“ endgültig eingetrübt. Strafvereitelung im Amt zur Deckung eines illegalen Waffenexports an das Apartheidregime in Südafrika

-massivere Vorwürfe gegenüber einem Minister sind kaum noch denkbar. Rücktritt ist angesagt, doch Stoltenberg ist weit davon entfernt. Naive Zeitgenossen mögen einwenden, es gäbe ja auch noch gar keine Beweise. Das aber genau ist ein Teil des Skandals. Beweise gibt es vor allem deshalb nicht, weil es Stoltenberg bislang gelungen war, die Ermittlungen in eigener Sache zu führen und deshalb nur die gewünschten Ergebnisse produziert wurden. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind mit tatkräftiger Unterstützung des Außenministers und des Kanzleramtes bis vor wenigen Wochen verhindert, Ermittlungen aus dem eigenen Haus schlicht unterdrückt worden. In einem normalen Verfahren ist Verdunkelungsgefahr ein U-Haft-Grund. Stoltenberg dagegen kann sich im Notfall die Aussagegenehmigung „im übergeordneten Interesse“ selber verweigern. Dabei ist die Seriosität des Mannes seit langem erschüttert. Die Affäre seines Zöglings Uwe Barschel erinnert bereits fatal an das Vorgehen im U-Boot-Skandal. Auch damals wurden Ermittlungen, die eine Mitwisserschaft Stoltenbergs zum Ergebnis gehabt hätten können, konsequent abgebogen. Indizien, nach denen der Selbstmord/Mord Barschels in Genf auch auf Waffengeschäfte zurückging, in die der damalige Bundesfinanzminister eingeweiht gewesen sein könnte, wurden in Genf wie in Kiel schnellstens vom Tisch gewischt.

Als in Ost-Berlin bekannt wurde, daß der Stasi und damit die SED-Spitze an Waffengeschäften in Krisengebieten kräftig verdient hatten, war in Bonn die Empörung wohlfeil. Um so bezeichnender ist es jetzt, daß das politische Establishment sowie der größte Teil der veröffentlichten Meinung sich einer außerordentlichen Zurückhaltung befleißigen. Wäre Moral in der Politik auch diesseits der durchlöcherten Mauer ein Kriterium, Stoltenberg wäre nun fällig. Tatsächlich steht wohl zu befürchten, daß es der jetzige Bundesminister der Verteidigung ausgerechnet der sich auflösenden DDR zu verdanken haben wird, daß er die Affäre, wieder einmal, unbeschadet übersteht.

Jürgen Gottschlich

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