piwik no script img

Der Chef und das Damals

■ Von der Tagesdecke zur Tageszeitung

Die Meinung der Zeitung wurde zwischen einem Zwiebelwurstzipfel und ein paar Rote-Bete-Knollen gebildet, wobei das Gemüse - unbeachtet in seinem Drahtkorbensemble den Prozeß der intellektuellen Positionsbildung selten überstand und in der Regel mit galoppierender Faltenbildung quittierte. Egal, schließlich war ein pünktlich abgelieferter Kommentar gegen fünf Uhr morgens wichtiger als ein abends angesetzter Rohkostsalat. Dafür begann der Kulturredakteur - in der Regel kurz nach Mitternacht zwischen Akustik-Koppler, Anrufbeantowrter und Monica (einem frühen Prototyp der später erfundenen Reiseschreibmaschine), seine gewohnte Tagesration Bier schmerzlich zu vermissen.

Gelegentlich wurde er unter der Küchenspüle fündig. Zwischen Putzmitteln und den recycl-fähigen gläserenen Relikten zeitungspolitisch wegweisender Entscheidungen ließ sich gelegentlich ein unsystematisch gealterter spanischen Sherry auftun. Was nicht nur die letzten Sätze seiner Konzertkritik beflügelte, sondern sich auch höchst förderlich auf das Erscheinen eines vollständigen Wochenend -Veranstaltungsprogramms auswirkte. Während „Bunte-Seite -Koordinatorin“ und Kulturredakteur dem Alkohl zusprachen, wurde im „Büro“ unter einem als „Büroleuchte“ geführten Sicherheitsrisiko und Gefahr für Leib und Leben zwischen angeknasten, gelblich-belegten Doppelstullen und dem zu einem Hümpel geschichteten Layout-Material für die „Bunte Seite“ der „Aufmacher“ geboren. Im „Wohnzimmer“ wurde parallel erstens an „Komik“ und zweitens an „Konzeptionellem“ gearbeitet. Die Komik entstand auf Grundlage einer grobgemusterten Häkeldecke, auf deren buckligem Oberflächenprofil der Karikaturist sich redlich, aber erfolglos um gebotene gerade Striche bemühte und nebenher um sein Leben fürchtete. Sein „Arbeitsplatz“ lag zwischen den bräunlichen Resten einer bis zu den letzten Sommerferien noch grünen Zimmerpflanze und zu kunstvollen Türmen des Wissens geschichteten Holzkisten. Der Bücherwand, von der man nie wußte, wie lange sie noch „Wand“ blieb.

Grundsätzliches enstand dagegen im Doppelbett. Genauer auf einer rot-synthetischen Tagesdecke und in zwei Ohrensesseln im Wohnzimmer. Ganz am Anfang auch die Idee der taz. Zu Hause bei K.W., der sich schon damals nicht gern „der Chef“ nennen ließ, solange man ihn nur entscheiden ließ, wo's langgeht. Über die rote Tagesdecke zur Bremen-taz eben und jetzt zur DDR-taz.

K.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen