: Festival d der Selbstfindung
■ Ganz versteckt am anderen Ende der Welt - von uns aus gesehen - findet alljährlich ein Woodstock der Esoterik statt. „Towards 2000“ in Neuseeland bietet alles, was der entsprechende Markt zu bieten hat.
Von
BERND MÜLLENDER
er rote Rauschebart, ein Typ wie ein Fossil von einem Freak, sitzt da an der Biegung des Flüßchens und bläst in eine lange Röhre. Unaufhörlich müht er sich, seinem Instrument, das wie eine verwegene selbstgebastelte Alphorn-Konstruktion aussieht, dem er selbst allerdings eine alte australische Aborigines-Herkunft zuschreibt, mehr als den immer gleichen schwingenden Ton zu entlocken. Ihm gegenüber tummeln sich ein paar Kids im Wasser, eine junge Frau sinniert selbstvergessen über einigen gesammelten Blättern. Ein Stück weiter im Gebüsch bereitet sich eine Gruppe Nackter auf die indianische Sweatlodge vor: Vier, fünf Stunden schwitzen in einem abgedichteten Zelt, aufgeheizt mit glühenden Steinen, um darin meditativ und inspirativ zu transpirieren, bis mit dem Schweiß, vielleicht, auch Teile von verborgenen Ängsten, Kindheitserinnerungen und Wünschen hervorkommen.
Weiter hinten auf der weiten Wiese sind die Workshops dieses Tages gerade vorbei - die Leute kommen aus den großen Zelten, quirlen durcheinander, erzählen sich vom Erlebten, von ihren Erfahrungen und Gefühlen bei Tai Chi, Rebirthing, Meditationen, Kreativtanz, Bioenergetik und und und. Ort all der Psycho-Kurse und Selbsterfahrungs-Workshops ist ein abgelegener Flecken namens Whitecliffs im tiefgrünen Hügelland der neuseeländischen Voralpen, eine gute Stunde von Christchurch entfernt.
Fast 300 Leute sind hier zusammengekommen zu einer Veranstaltung, die „Towards 2000“ heißt, und die es so oder in ähnlicher Form hierzulande sonst nicht gibt: Alles zusammen an einem Ort zur gleichen Zeit. Bewußt auf das Jahr 2000 zugehen soll gelernt werden, vier Tage lang, in abgeschiedener Atmosphäre nur unter sich, bei gemeinsamer Vollwerternährung, ohne Alkohol und andere Drogen, mit einem Kurs-Angebot aus allen Sparten des Körperbewußtseins und der Seelenzergliederung: Yoga und Gestalttherapie, Massage und Wahrnehmungsübungen. Towards 2000 will, so der Selbstanspruch, „persönliche Erneuerung der einzelnen und vertiefte Fürsorge für andere“ lehren. Motto: die Welt kann sich nur ändern, wenn wir bei uns selbst anfangen, und das gemeinsam mit anderen, und auch für andere.
uf die Idee gekommen ist Robert, ein Enddreißiger aus Christchurch, vor vier Jahren. Er sammelte eine Gruppe von einheimischen SeelenexpertInnen um sich und organisierte das erste Camp. Dreimal täglich läuft, jeweils parallel, ein knappes Dutzend verschiedener Workshops, jede/r geht wohin er/sie will, und wenn es nicht das richtige ist, kann man immer noch ins Zelt nebenan wechseln, von wo gerade die freudige Jubelkaskade herüberkommt oder die besinnliche Musik der Meditierenden. Oder man läßt, ein wenig abseits, allein Sonne und Wind ihre Wirkung tun. Abends, außerhalb so mancher geplanten Veranstaltung, stehen die grasige Tanzfläche im Hauptzelt und die Laienbühne offen für alle, wo der eine dann einen vorjongliert, die anderen einen improvisierten Sketch vortragen, irgendwas meist zwischen Privat und Politik.
Das Selbstfindungs-Festival, einmal im Jahr, wird als „non -profit network“ veranstaltet, auf Kostendeckung. Mehr kann auch nicht drin sein, bei lächerlichen 75 Mark für ein verlängertes Wochenende mit Kursen aller Art; reichhaltiges Essen und Zeltschlafplatz inclusive.
Der neuseeländische Markt der meditativen Möglichkeiten hat ein bißchen Woodstock-Atmosphäre, und ein wenig von Wendland. Da sind Berufs-Langhaarige wie ehedem, vorsätzlich Barbusige auch bei kühlem Wetter, verträumt sinnierende Wuschelköpfe, Lachende und Weinende, garniert mit dem Klang der Klampfe und dem der alten Lieder: Stones, Joplin, Stevens, Young, Dylan natürlich. Aber nicht nur die Klischee -Klientel sucht das Bewußtsein Richtung 2000 zu stärken: da sind einige ältere Paare, einzelne Mittelklasse-Familien, Neugierige ohne jede vorherige Seelenarbeit, auch schon mal ein urlaubender taz-Reporter, und jedes Jahr ein, zwei Dutzend Rucksack-TouristInnen aus Europa, meist aus der Esoterik- und Therapie-Hochburg West Germany.
on dort kommt ursprünglich auch der 50jährige Gunter Bennung, einer der Kursleiter, der sich als Clown „Shiven“ sonst buntbemalt, mit Auftritten weltweit, 1988 auch im Berliner Grips-Theater, mehr jüngeren AdressatInnen verschrieben hat. Der Ex-Berliner hatte 1982 versucht in Neuseeland einzuwandern, mit der dreisten Berufsbezeichnung „Clown“ - was die Behörden erst so amüsiert wie selbstredend abgelehnt hatten, bis es im dritten Versuch klappte. Seine Karriere als farbenfroher Unterhalter war alsbald so erfolgreich, daß ihm Ex-Premierminister David Lange schrieb: „Ich bin hoch erfreut, daß Sie und Ihre Familie jetzt glückliche Neuseeländer sind.“
„Intuitive Teaching“ heißt Gunters Angebot bei Towards 2000, obwohl, wie er sagt, „Intuition teilen die bessere Beschreibung wäre“. Alles käme, sagt er am Anfang seiner Doppelstunde, auf die zufällige Gruppe an, was die Leute zulassen, wo ihre Grenzen sind, „deshalb“, sagt der Profi, „habe ich immer dieses Herzklopfen, diese Unsicherheit, wenn ich mit Erwachsenen arbeite“. Alle müßten sich einfach auf alles einlassen, auf eigentlich sehr simple Partnerspiele, in deren Mittelpunkt immer das unbedingte gegenseitige Vertrauen steht, zu unbekannten Leuten, die im Alltag meist als Konkurrenten erlebt werden: Jemand anderem mit geschlossenen Augen folgen, dabei kreuz und quer laufen, robben, kriechen, schleichen.
Darauf kommt es beim Innen-Training halt immer an: sich fallenlassen, einlassen und zulassen können, sich lösen, öffnen, mal ein Stückchen offenbaren. „A bit of Gestalt“ könne er auch noch anbieten, sagt Gunter. Für Gestalttherapie haben die Englischsprachigen dieser Welt kein eigenes Wort, und so finden sie es spannend, diesen „typical German way“ der Wahrnehmungsschulung und Selbstanalyse kennenzulernen. Mehrheitlich gibt es Kreativitätsspiele und Körperübungen, nur vereinzelt, wer halt will, tiefschürfende Psycho-Analyse oder aufwühlende Seelenzergliederung wie Hypnose-Therapie oder das Herauskeuchen und -schreien innerer Blockaden beim Rebirthing. Was man an sich selbst ansatzweise neu entdeckt, gilt es als Hausaufgabe mitzunehmen ins normale Leben.
Mehrheitlich üben die durchweg gut geschulten und pädagogisch versierten KursleiterInnen Rücksicht auf Unerfahrene: Wichtig sei, daß die Energie fließt bei deiner Übung, sagt eine, aber wenn du dich gegen das Wort „energy“ sträubst, dann nenne es anders, so daß du es annehmen kannst.
rg esoterisch, unnachvollziehbar abgehoben wird es selten: „Nur wer mit der Welt verwurzelt ist“, erklärt ein teacher, wer richtig „grouded ist mit sich selbst“, kann es sich auch erlauben, auszuflippen, rumzuspinnen, abzuheben, halt „spacy zu sein“. Für Vorträge über Heilende Steine und aufklärende Belehrungen über Ufos möge Sinn haben, für den es Sinn macht, und vielleicht gibt es ja tatsächlich einen Menschen, der schon mal Kontakt mit Delphinen aufgenommen hat, wie er dieses Jahr am schwarzen Brett „dringend gesucht“ wurde.
Am Sylvesterabend aber mit mehrhundertkehligem Summen völlig alkoholabstinent ins Jahr 1990 hineinzumeditieren, das muß man miterlebt haben - die üblichen Champagner -Schlürfer daheim haben es alle nicht nachvollziehen wollen. Jedem das Seine, jeder das Ihre; und alle zusammen in der kuscheligen, offenen Vier-Tage-Stimmung - das ist das faszinierende an jenem Festival Towards 2000.
Einen Guru gibt es nicht, jeder ist selbstverantwortlich sein eigener kleiner Baghwan. Jeder „Fehler“, jede Schwäche im Workshop, ist folgenlos, man muß sich nur trauen. Alle sehen zu, aber keiner beobachtet. Glück und Liebe werden nicht verordnet, Lächeln für den Moment ist ein schönes non -verbales Esperanto. Kaum jemand kannte sich unter den 300 vorher, aber für Außenstehende scheint bald jeder mit jedem seit Ewigkeiten vertrauensvoll befreundet zu sein. Aber nach der stundenlangen Abschiedsrunde ruft wieder das unpersönliche Leben draußen. Die Zeit der Illusionen von „den Entdeckungen unserer Möglichkeiten für eine harmonischere, liebenswertere Welt“ ist schnell wieder passe.
Auch Robert, der engagierte Macher, wird zurückfinden in die Realität, nachdem er gleich nach seinem ganznächtigen Traum-Workshop heulend und zitternd, aber auch glücklich vor innerer Erschöpfung, wohl auch durch eigene aufwühlende Schlaferlebnisse zusammengebrochen war. Und die anderen Workshop-LeiterInnen werden zu Hause feststellen, ob die Reklame allgemein für die vielen Therapieschulen und die PR für die eigenen - kräftiger zu bezahlenden - Angebote angekommen ist. Ansonsten kann der Veranstaltungs-Slogan „Der Weg ist das Ziel - zusammen in Richtung 2000“ erst wieder in einem Jahr, in der Enklave namens Whitecliffs, begangen werden. Noch knappe zehn Jahre Towards 2000. Eine kurze Zeit, ein langer Marsch.
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