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Die letzte Chance der EG

■ Mitterrand will die europäische Währungsunion vorziehen

Vor drei Monaten, so erklärte kürzlich der SPD-Mann in der Regierung Modrow, Walter Romberg, hätte die EG durch entschlossenes Handeln noch die Möglichkeit gehabt, die DDR als 13. souveränes Mitglied in die Gemeinschaft zu integrieren. Die Chance wurde verpaßt, jetzt, so Romberg, muß die EG die deutsche Vereinigung schlucken.

Davon dürften mittlerweile auch die Regierungschefs der übrigen elf nicht-deutschen Mitgliedsländer ausgehen. Die Frage lautet auch auf europäischer Ebene längst nicht mehr, ob, sondern wie auf das zukünftige Großdeutschland zu reagieren ist. Um den Zug europäischer Einflußnahme nicht vollends abfahren zu lassen, hat Frankreichs Staatspräsident Mitterrand nun klargemacht, daß die Mehrheit innerhalb der EG ein verschärftes Interesse an der Beschleunigung einer europäischen Währungsunion hat, um die deutsch-deutsche Geldpolitik doch noch in die EG zu integrieren, bevor Kohl seine europäische Vergangenheit völlig vergißt. Dabei ist die Währungsunion ein Hebel, um die vielbeschworene Synchronisierung der deutschen und der europäischen Einigung hinzubekommen. Noch kann sich Kohl hinter den Widerständen Margaret Thatchers verstecken, doch wenn die Briten überhaupt noch Einfluß auf die weitere Gestaltung Europas nehmen wollen, werden sie ihre bisherigen Blockaden schnellstens aufgeben müssen.

Die Einbindung Deutschlands ist nur zu haben, wenn auch die übrigen EG-Nationalstaaten bereit sind, Souveränitätsrechte an supranationale EG-Institutionen abzugeben. Das gilt sowohl für das europäische Parlament als auch für die EG -Kommission und kann sich auch nicht auf eine gemeinsame Währungspolitik beschränken. Die Angst vor dem deutschen Sonderweg ist - wenn überhaupt - nur über eine europäische innen- außen- und verteidigungspolitische Einbindung zu bannen, und da hat gerade die Grande Nation noch erhebliche Vollzugsdefizite.

Noch tönt Kohl bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die Bundesregierung sei ja die erste, auf diesem Weg voranzugehen. Endlich versucht nun Mitterrand, ihn wenigstens an einem Punkt beim Wort zu nehmen. Die Reaktion des Oggersheimers gibt zu Optimismus wenig Anlaß. Termingründe sind ein doppelbödiges Argument, wenn es tatsächlich darum geht, erst einmal die Einverleibung der DDR zu verdauen. Ob Europa für die großdeutsche Wirtschaftsmacht dann überhaupt noch auf dem Programm steht, ist eine Frage, die Kohls EG-Partner lieber vorher klären sollten.

Jürgen Gottschlich

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