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Zwei Blöcke in Greifswald ausgeknipst

■ Die DDR reagiert prompt auf eine Aufforderung des Bonner Reaktorministers Töpfer / Eine vollständige Stillegung der Atomzentrale wird nicht mehr ausgeschlossen / Vom Runden Tisch beauftragte Atomkritiker monieren zahlreiche gravierende Mängel in Greifswald

Bonn/Berlin(taz) - Die Stillegung der Atomzentrale Greifswald macht Fortschritte. Bundesreaktorminister Klaus Töpfer (CDU) empfahl der DDR gestern dringend, nach dem bereits am Mittwoch vom Netz genommenen Block II auch Block III des Atomkraftwerks an der Ostsee unverzüglich stillzulegen. Die Reaktion erfolgte prompt: Am Mittag fuhr die Betriebsmannschaft in Greifswald den dritten Block herunter. Das bestätigte der vom Neuen Forum in das Kabinett Modrow entsandte Energieexperte Sebastian Pflugbeil gegenüber der taz.

Töpfer hatte seine Empfehlung ausschließlich mit Materialproblemen begründet, die „von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit von Kernreaktoren“ seien. Ein „Sprödbruch“ des Reaktorbehälters sei mindestens in den beiden monierten Blöcken nicht auszuschließen. Das sei das erste Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung, an der neben der bundesdeutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit auch Sowjet-Techniker beteiligt gewesen seien.

Töpfer kündigte an, daß auch der Block IV im März abgeschaltet werden soll. Dann stehe ein Brennstoffwechsel an. Block I sei nicht akut sprödbruchgefährdet, weil in diesem ältesten Reaktor im Jahre 1988 eine spezielle Wärmebehandlung durchgeführt worden sei, die zum „Ausheilen“ von strahlenbedingten Werkstoffschädigungen geführt habe. Der Minister erklärte in Bonn, daß die Sicherheitseinrichtungen der abgeschalteten Blöcke II und III für eine verbesserte Betriebssicherheit der restlichen Blöcke genutzt werden sollen.

Töpfer wollte ausdrücklich weder eine Bestandsgarantie für die restlichen Blöcke noch Prognosen für eine Nachrüstung der abgeschalteten Anlagen geben. Er verwies darauf, daß die Materialprüfung erst der erste Schritt der Untersuchung sei. Über die präventive Abschaltung aller vier Blöcke bis zum Abschluß der Untersuchungen könne nur die DDR selbst entscheiden. Bei ihm gebe es dafür eine „große Bereitschaft“, betonte Töpfer. Eine Gesamtbeurteilung der Anlagen soll bis April vorliegen. Für die abgeschalteten AKWs könnte die Bundesrepublik bei der Stromerzeugung einspringen. Die Kraftwerke Buschhaus und Offleben bei Helmstedt könnten aus dem bundesdeutschen Stromnetz ausgekoppelt werden und ausschließlich für die DDR arbeiten.

Sebastian Pflugbeil erinnnerte gegenüber der taz daran, daß AKW-GegnerInnnen in der DDR bereits seit Jahren die Stillegung der konzeptionell hoffnungslos veralteten Reaktoren gefordert hätten. Die vom Runden Tisch eingesetzte unabhängige Sicherheitskommission habe neben den Materialproblemen auch gravierende Mängel beim Brandschutzes, bei der Kabelführung, bezüglich der Leistungsfähigkeit des Notkühlsystems und der Betriebssicherheit der Dampferzeuger festgestellt. In der alternativen Expertengruppe arbeiten renommierte AKW -Kritiker aus der Bundesrepublik zusammen.

Die SPD bezeichnete die Abschaltung der zwei Reaktorblöcke als überfällig. Notwendig sei aber nun ein Sofortprogramm zur Sicherung der Energieversorgung der DDR. Die Grünen forderten die Abschaltung aller vier Blöcke, weil die Kernschmelzgefahr zu groß sei. Das gelte auch für einige alte Reaktorblöcke in der Bundesrepublik, sagte der Abgeordnete Wolfgang Daniels.

gn Siehe Interview Seite 2

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