: Kicker-Erosion in der DDR
■ 250 Spieler im Winterschlußverkauf / Die Ex-Staatsamateure sind in der Oberliga und in der 2.Bundesliga einsetzbar
Die Fußball-Delegation des DDR-Ligisten KKW Greifswald erkundigte sich beim Westberliner Zweitligisten Blau Weiß 90 nach Möglichkeiten einer engen Zusammenarbeit. Ganz nebenbei fragten die Gäste, wo eigentlich ihr Sturm-As Ralph Steinfurth geblieben sei. Die Funktionäre von Blau Weiß wußten Bescheid: Steinfurth, 23, momentan noch auf Rang vier der Liga-Torschützenliste der DDR, hatte sich im Januar beim Westberliner Proficlub angemeldet. In der Rückrunde der laufenden Saison soll er die BW-Amateure in der Oberliga verstärken. Das hiesige Fachblatt 'Fußball-Woche‘ ortete prompt dicke Luft während der freundschaftlichen Gespräche, da es bei Steinfurths Seitenwechsel „nicht mit rechten Dingen zugegangen“ sein könnte.
„Alles Humbug, wir hatten keinen Ärger mit Greifswald“, dementiert Jürgen Görlitz von der BW-Geschäftsstelle energisch. Er räumt jedoch ein, daß der DDR-Verein um eine kleine Ablösesumme bat: „Die wollen was für die Ausbildung von Steinfurth.“ Doch Schlosser Steinfurth, ein ehemaliger DDR-Juniorenauswahlspieler, wird seinem alten Club, der die gesamte Sturmreihe an den Westen verlor, keinen Pfennig in die Kasse bringen: Laut DDR-Statuten gelten lediglich Oberligaspieler seit dieser Spielrunde als „Nicht-Amateure“. Für unterklassige Akteure wie den 23jährigen Torjäger aber gelten nach wie vor die Amateurbestimmungen. Und „ein Amateur kann machen, was er will“, erkennt Görlitz völlig zu Recht.
Wieviele Fußballer seit dem „Winterschlußverkauf“ ('Junge Welt‘) in der DDR-Kickerzunft gen Westberlin abwanderten, ist nur schwer zu beziffern. Experten schätzen, daß allein 250 Ostberliner, die auch noch jenseits der Spree wohnen, sich beim Westberliner Fußball-Verband um einen Spielerpaß beworben haben. Weil aber in dieser Starterlaubnis die Rubrik „Nationalität“ gänzlich fehlt, lassen sich die Zahlen weder dementieren noch bestätigen. Tatsache ist allerdings: Zahlreiche Westberliner Amateurmannschaften werden mit Verstärkungen aus dem Osten antreten, wenn die Winterpause vorbei ist. Auch bei Hertha BSC und Blau Weiß 90 gingen gleich mehrere DDR-Spieler vor Anker - allein vier bei den blau-weißen Mariendorfern. Über eine Vorteilsregel im innerdeutschen Spielerverkehr darf sich BW 90 besonders freuen. Als Amateure sind die DDR-Importe sowohl in der Berliner Oberliga als auch bei den Profis in der Zweiten Bundesliga einsetzbar. Falls ein Aktiver diese Chance nutzt, winkt ihm ein Vertrag als Berufsspieler. Selbst dann müßte der Zweitligist keine müde D-Mark in die DDR überweisen, da sämtliche Neuzugänge drüben zuletzt „nur“ in der Liga agierten.
Jürgen Schulz
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen