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Sportkollektive bei privatwirtschaftlicher Erbsensuppe

■ Der ehemalige Club von Bundestrainer Helmut Schön, SC Dynamo Dresden, putzte die Hertha mit 3:1 / Die Dauermeister-Mannschaft ließ dem Restberliner Zweitligisten keine Chance / Horden von West-Touris und Hertha-Fans marschierten großdeutsch in Dresden ein / Stadionsprecher fordert wiedervereinigte Bundesliga

Die Einkaufsstraßen der Altstadt sind voller Menschen, Zyklop-Touristen mit Videokameras und Einkäufer aus der Provinz, dick mit Tüten bepackt. Verstopfte Parkplätze, vollklimatisierte Reisebusse karren zu Hunderten die Rentner aus Westdeutschland heran. Sie betrachten feuchttränig das Mahnmal der Frauenkirche, einen riesigen Trümmerberg aus Steinquadern und Mauerresten, bewachsen mit Birken und Gras.

Rundherum liegen Kerzenstummel, Reste der Gedenkveranstaltung vor einer Woche zum 45.Jahrestag der Bombardierung der Stadt, die anscheinend zu wenig Lerneffekt hatte: „Deutschland, Deutschland über alles„-Gegröhle plötzlich hinter Trümmerhaufen und an der Schloßruine - das quietschende Bollern von Doc Martens-Stiefeln kündigte sie an - in kleinen Grüppchen durch die Altstadt torkelnd, über und unter der Schädeldecke kahl, eingepackt in Bomberjacken und blau-weiße Schals: die Fans von Hertha BSC.

Der einzige, peinliche und widerliche Hinweis darauf, daß die Herthaner zum Freundschaftsspiel gegen den Oberliga -Spitzenclub SC Dynamo und amtierenden DDR-Meister nach Dresden gekommen sind. In der Stadt ist kein einziges Plakat zu sehen, das diese Begegnung ankündigt, ebensowenig, wie sich auf den Gesichtern der Menschen Reaktionen auf die Ausfälle der Hertha-Frösche zeigen.

Letzteres ist unverständlich, seltsam das erstere, denn der SC ist nicht nur einer der beständigsten Klubs der DDR, sondern hat auch eine interessante Vergangenheit. Unter dem Namen Dresdener SC gewann der Klub in den Vierzigern zwischen Blitzkrieg und Bombenteppichen mehrmals die Meisterschaft. Dabei kickte ein Mensch namens Helmut Schön mit, ebenso wie später beim ersten Endspiel um die DDR -Meisterschaft, das die Dresdener auf Geheiß Ulbrichts verlieren mußten. Begründung: Gegner Zwickau war ein waschechter sozialistischer Verein, die Dresdener bürgerlich. Darob erbost, nahm Helmut seine karierte Mütze und ging ins gelobte Land, um Bundestrainer und Weltmeister zu werden.

Auf dem Weg zum Dynamo-Stadion, über den endlos langen und kahlen Platz an der Leningrader Allee, vorbei am Robotron -Betonklotz, sind nur wenige Menschen, die still zu den Eingangspforten des Sportgeländes spazieren. Sogar im Stadion selbst nur wenige Geräusche, nicht nur, weil die 8.000 Menschen in der 36.000-Plätze-Arena verloren wirken. Die Sachsen seien ein ruhiges Völkchen, erklärt ein Sportreporter von der lokalen Presse, läßt sich bedächtig nieder und erwartet den Spielbeginn.

„Wir begrüßen die Sportkollektive von Hertha BSC und dem SC Dynamo“, schallt es formal-sozialistisch aus den Lautsprecherkästen. Ansonsten tut Ansager eher locker -flockig und fordert die Zuschauer auf, in der Halbzeit unbedingt die erste privat betriebene Erbsensuppenbude zu nutzen: “...schmeggd subber un is escht säggsch.“

Liebenswerte Seltsamkeiten reißen nicht ab. Die Digitaluhren der Stadionanzeige ist der Ortszeit um fünf Stunden enteilt, der Rasen holprig wie in der Hasenheide, und der Ball: Jeder Fußtritt erzeugt das gleiche Geräusch wie beim sommerlichen Kick mit den berüchtigten Bilka -Gummipillen vorm Reichstag. Vielleicht ist dies ein Grund, warum die Pässe der Berliner zum Weglaufen durch die Luft eiern, sowie Sturm und Mittelfeld meist phantasielos herumdaddeln.

Ein anderer Grund ist sicherlich der überlegene Auftritt der Dynamos. Sie zeigen, warum sie als einzige Oberliga -Mannschaft noch ungeschlagen sind und wer im nächsten Jahr wohl nicht mehr in Dresden spielen wird; nämlich Mini -Matthäus-Sammer, Auswahlstürmer Wulf Kirsten und Torschützenkönig Thorsten Gütschow. Die drei spielten des öfteren mit der Hertha-Abwehr Kasperletheater und erzielten alle Treffer zum Sieg.

Erstligareif war das Spiel bei weitem nicht, dennoch beharrte Manager Wolter beim Halbzeit-Interview durch den Ansager weiter auf seiner Aufstiegstheorie.

Letzterer leistete sich dabei noch einen bösen Schnitzer, als er seinen Wunsch hinausposaunte, beim nächsten Mal würden beide Vereine um Bundesligapunkte spielen. In Halle/Saale traten übrigens zeitgleich die Kicker von Hannover 96 an. Die Niedersachsen wurden von den Sachsen 4:1 geputzt und schafften sogar ein Eigentor.

Schmiernik

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