: DDR-Post: Lassen Sie sich entwanzen!
■ Ostberliner Post bietet per Zeitungsannonce Wanzen-Aufspürservice für jedermann an / Besonderes Angebot: „Für Parteien noch vor der Wahl“
Von wegen der Osten ist unflexibel: Mit einem neuen Service wirbt jetzt die Deutsche Post im 'Neuen Deutschland‘. Mit dem Slogan: „Ihr Wunsch nach Diskretion in Ihren Räumen wir erfüllen ihn!“ bieten die Ostberliner Postler den Kunden jetzt einen „Wanzen-Aufspürdienst“ an. Dieser Service soll besonders „Parteien und politischen Vereinigungen noch vor der Wahl“ Mini-Mikro-freie Dienstzimmer bescheren. Das posteigene „Zentralamt für Funkkontroll- und Meßdienst“ (Berlin 1170, Waldpromenade 4), das mit den Stasi -Horchgeräten jahrzehntelange Erfahrungen hat, bietet frischgewendet eben diese „Erfahrung und technische Ausrüstung für Ihre Sicherheit“ an.
Die „Profis von der Deutschen Post“ wollen verwanzte Tagungsstätten, Künstlergarderoben, Geschäfts- und Privatzimmer wieder clean machen. Keine leichte Aufgabe, denn die Wanzen stecken an den ungewöhlichsten Orten. So berichtete der 'Spiegel‘ von Abhörgeräten in einem Ausflugslokal beim Napoleon-Denkmal in Jena-Cospeda, in dem sich regelmäßig Angestellte der Zeiss-Werke mit ihren ausländischen Gästen trafen. Wanzen gab es nicht nur in jeder Gaststube und jedem Zimmer, sondern auch in allen Toiletten. So galten mindestens bis November auch alle großen Devisen-Hotels der DDR als verwanzt. Noch im letzten Dezember - die Stasi war aufgrund des politischen Drucks der Opposition bereits aufgelöst - mußte Manfred Döller, Mitglied des Demokratischen Aufbruchs in Erfurt eine merkwürdige Entdeckung machen. In seinem Anorak fand sich ein Abhörgerät. Mikrofon, Batterie, Sender und zwei dünne Antennen-Kabel. Reichweite der Wanze: zwischen zwei und vier Kilometern. Dauerhaft abgehört wurden prominente Regimekritiker wie Robert Havemann, Wolf Biermann, Stefan Heym oder Wolfgang Templin.
Die Leute vom Post-Service gehen nun mit Hilfe eines Feldstärke-Meßgerätes auf Fahndung. In zehn Minuten bis einer halben Stunde läßt sich damit herausfinden ob ein Raum „verwanzt ist oder nicht“. Das Versteck der etwa haselnuß bis streichholzschachtelgroßen Wanze dann allerdings auch genau aufzuspüren, kann unter Umständen einige Stunden dauern. Wohl wegen des schwer abzuschätzenden Arbeitsaufwandes bleibt das Entgeld für die elektronische Kammerjägerei in der Anzeige noch ungenannt. Haben die Postler die Wanze aufgespürt, wird Anzeige bei der Kriminalpolizei erstattet, die Spuren aufnimmt und Ermittlungen einleitet. Die Ostberliner Kripo wird damit nun viel zu tun haben. Ob auch Westkunden den Service (Tel. 0372/650 23 15) der DDR-Post nutzen können, war bisher nicht zu erfahren. Arbeit genug für die Entwanzer könnte es angesichts des großen Arbeitseifers westlicher Staatsschnüffler bestimmt geben.
Peter Berger/kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen