: Die Metapher vom Krieg
■ Epstein und Friedmans „Common threads“: Wie trauern um AIDS-Tote?
Wer Mitleid für pervertierte Zynik hält, sollte sich diesen Film nicht ansehen. Trotz mittelschweren Einsatzes amerikanischer Tränendrüsendrucktechniken kann man sich diesen Geschichten nicht entziehen. Sie wiegen schwer. Es sind Geschichten über Leute, die an AIDS gestorben sind und jene, die sie überlebt haben. Zunächst.
Schwule in San Francisco, die die Krankheit erwischt, als die Ärzte sie noch für eine Art Krebs halten; ein blutkrankes Kind, das an infizierten Konserven zugrunde geht; ein Schwuler, der mit einer Lesbe ein Kind hat (er stirbt, sie überlebt); ein heterosexueller Mann, der sich wahrscheinlich an Nadeln für Drogen infiziert und seine Frau (infiziert) zurückläßt. Robert Epstein (The Times of Harvey Milk) und Jeffrey Friedman montieren die Geschichten nach Kapiteln: Leute hören von der Krankheit; ein Nahestehender wird krank; die Krankheit eint sie oder treibt sie auseinander; das Sterben. Innerhalb der thematischen Kapitel erscheint jede Geschichte anders und ist doch ein deja vu; die Episoden scheinen in Zeitlupe zu vergehen und dennoch ist das ganze in 85 Minuten vorbei.
Die Geschichten sind nicht zuende mit dem Sterben. Es folgt die Geschichte vom Quilt. Das ist dieser riesige Flickenteppich, den die Trauernden nähen und der, rapide wachsend, auf den Grünflachen um das Weiße Haus in Washington ausgelegt wird, auf diese (ebenfalls ganz amerikanische) phantastische Art organisiert: Jeweils fünfzig oder sechzig der textilen Epitaphe zu einem großen Quadrat zusammengenäht, und die Quadrate umschlossen von weißen Wegen, ein riesiges buntes naives Bild, angeordnet in fast elektronisch anmutender Sauberkeit.
So tragen die Trauernden den Namen dessen, den sie vermissen, in die Welt, die nach ihrer Meinung feindlich ist: denn die amerikanische Regierung hat auf AIDS erst gar nicht reagiert (so viele starben, weil sie nichts darüber wußten) und dann nicht soviel in die Forschung investiert, daß die noch lebenden Infizierten und Kranken hoffen könnten. Die persönlichen Geschichten sind unterbrochen durch TV-Schnipsel, die deutlich machen sollen, wie das Wissen von AIDS wächst und die Verdrängung der Krankheit zunehmend unmöglich wird. Sie bringen auch eine zeitliche Ordnung in den Film und ein Stück Wirklichkeit: die sauberen Fernsehgesichter, strahlend hetero, als Maß der Dinge und der Geschichten.
Schließlich überschreitet die Zahl der Toten die der (gemeint ist wohl: amerikanischen) Gefallenen in Vietnam. Die Statistik liefert das Stichwort für einen problematischen Vergleich: Die Trauernden glauben, sie befänden sich in einem Krieg. In dieser Metapher suchen sie ihre kollektive Identität. Denn unausgesprochen gibt es in einem Krieg eben auch einen Gegner. Wer der Gegner nun wirklich sein soll (wahrscheinlich kein Gott, sondern eher das fundamentalistische Amerika), bleibt letztlich dunkel. Das muß es auch, damit die Metapher vom Krieg die Opfer wirklich eint und nicht auseinandertreibt. Sie ist äußerst problematisch.
Aber der Film, der die Geschichten vom Quilt her rekonstruiert, baut ganz auf die kollektive Identität der Trauernden. Von diesem Bedürfnis nach Gemeinsamkeit werden die Geschichten ein bißchen erdrückt. Sie bleiben Beispiele. Der eunuchische Gesang Bobby McFerrins zu verwaschenem Tastenspiel bei leichtem Hall soll die dramatische Dimension der verheerenden Krankheit illustrieren.
Letztlich ist dies ein Film über einen unvollkommenen Trost. Aber er kann den Betrachter nicht versöhnen, weil es zu deutlich ist, wie das einzelne Schicksal zwar im Tod aufgeht, aber nicht notwendig im „Kampf“ gegen die Krankheit, im Schutz des Kollektivs. Zu den Trauernden des Films gehört auch Vito, der nicht nur seinen Partner, sondern alle seiner Freunde verloren hat. So näht er gleich sein eigenes Epitaph. Es ist fast nur noch makaber: es gehört nun, wo der Film fertig ist (und nominiert für einen Dokumentar-Oskar) längst zum Quilt.
Ulf Erdmann Ziegler
Common Threads - Stories from the Quilt. Regie: Robert Epstein, Jeffrey Friedman. Sprecher: Dustin Hoffman. Musik: Bobby McFerrin (Originalfassung).
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