: Welche Armee darf die DDR besetzen?
■ Der Streit zwischen Genscher und Stoltenberg um die zukünftige Nato-Grenze wurde kosmetisch bereinigt
Mit seiner Forderung nach Stationierung von Bundeswehrsoldaten östlich der Elbe war Stoltenberg Genscher in den Rücken gefallen. Der gestrige Kompromiß: Keine Bundeswehr östlich der Elbe, weder als Nato- noch als nationale Truppe. Die Stationierung der zukünftigen gesamtdeutschen Armee bleibt offen.
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg haben ihren am Wochenende offen aufgebrochenen Streit über die Frage der Vorverlegung von Bundeswehrsoldaten auf das ehemalige DDR -Territorium nach einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten am Montag vorläufig beigelegt. Die Frage der Stationierung von Soldaten einer künftigen gesamtdeutschen Armee östlich der Elbe ließen die beiden Minister in einer gemeinsamen Erklärung jedoch offen. Der Abrüstungsexperte der FDP-Fraktion, Olaf Feldmann, forderte in einem Interview mit der taz über den Verzicht auf die Vorwärtsstationierung von Bundeswehrsoldaten hinausgehende sicherheitspolitische Signale an die Sowjetunion (siehe Interview unten).
In der nach einem Treffen Genschers und Stoltenbergs mit Bundeskanzler Kohl vom stellvertretenden Regierungssprecher Vogel vor der Bundespressekonferenz verlesenen Erklärung machen sich beide Minister eine Passage aus der Regierungserklärung Kohls vom vergangenen Donnerstag zu eigen. Darin hatte Kohl mitgeteilt, bei seinem jüngsten Moskaubesuch habe er gegenüber dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow „klargestellt, daß keine Einheiten und Einrichtungen des westlichen Bündnisses auf das heutige Gebiet der DDR vorgeschoben werden“.
„Dieser Satz“, so Genscher und Stoltenberg, beziehe „sich auf die der Nato assignierten und nichtassignierten Streitkräfte der Bundeswehr“. „Der sicherheitspolitische Status des Gebietes der heutigen DDR in allen seinen Aspekten“, heißt es in der Erklärung abschließend, sei „mit der freigewählten Regierung der DDR sowie mit den vier für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Mächten zu klären.“
Dieser Satz läßt die Option auf östlich der bisherigen deutsch-deutschen Grenze stationierte Soldaten einer künftigen gesamtdeutschen Armee offen. Der gestrigen Einigung vorausgegangen war massive Kritik an Stoltenberg von Politikern aller Parteien. Der SPD-Vorsitzende Vogel nannte die Forderung nach Vorwärtsstationierung von Bundeswehrtruppen „lebensgefährlich“. Der Vorstandssprecher der Grünen, Fücks, sprach von einer „Provokation gegenüber den historisch begründeten Sicherheitsinteressen der Sowjetunion“. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Wenzel, erklärte, „derzeit“ solle die „Wiedervereinigung nicht mit dieser Frage belastet“ werden. Aus der CDU erteilte lediglich der hessische Ministerpräsident Wallmann „Gedankenspielen“ eine Absage, deutsche Truppen aus der Befehlsstruktur der Nato herauszunehmen. Die Sicherheitspolitiker der Union sowie der Fraktionsvorsitzende im Bundestag Dregger, der noch auf der Münchner „Wehrkundetagung“ Anfang Februar ähnliche Positionen wie Stoltenberg bezogen hatte, äußerten sich nicht. Der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, Bötsch, bekräftigte allerdings erneut die auch von Stoltenberg zur Begründung seiner Forderung vorgetragene Haltung, „Zonen ungleicher Sicherheit“ dürfe es in einem künftigen Gesamtdeutschland „nicht geben“.
So blieb auch gestern weiter unklar, inwieweit Stoltenbergs Forderungen, die er am letzten Freitag auch als sicherheitspolitische Vorstellungen der CDU beschrieb, in seiner Partei geteilt werden.
Andreas Zumach
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