: Nazi-Orden „nur zur Dekoration“
■ Wie das schlechte Gewissen eine Gerichtsverhandlung beendet
Pech für den Hobby-Händler Günter S.: Ausgerechnet Oberstaatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach spazierte am 23.7. über den Sonntagsflohmarkt auf der Bürgerweide und entdeckte in einer Glasvitrine des S. zwei Nazi-Orden: ein Mutterkreuz und einen Treudienstorden, beide mit deutlich sichtbarem Hakenkreuz und deshalb als Dekoration und Verkaufsobjekte verboten. Ein Strafbefehl über 625 Mark, entsprechend 25 Tagessätzen zu 25 Mark, flatterte S. deswegen ins Haus, doch der
legte Einspruch ein und stand deshalb gestern vor dem Bremer Amtsrichter Wulf.
Vor dem Kadi spielte S. den Ahnungslosen: Er habe die beiden Orden zusammen mit einem ziemlich verrosteten Ehrendolch der Marine auf dem Otterndorfer Flohmarkt gekauft. Weil der Dolch kaum noch zu erkennen gewesen sei, habe er die beiden Orden daneben gelegt, damit potentielle Käufer gleich wüßten, um welchen Kontext es sich bei dieser Waffe handele. Insgesamt habe er 90 Mark für alle drei Sachen be
zahlt. Zwar habe er nicht gewußt, daß das Ausstellen dieser Orden verboten sei, doch habe er die Hakenkreuze auf den „Ehrenzeichen“ vorsichtshalber mit kleinen, farbigen Markierungspunkten überklebt. Ganz offensichtlich habe ein Neider ohne sein Wissen die Aufkleber entfernt, unmittelbar bevor Oberstaatsanwalt von Bock an die Vitrine herangetreten sei.
Auch der Anwalt schlägt vor Gericht in die Kerbe des unbescholtenen Bürgers, über den nun die drohenden Wellen des Gesetzes völlig zu Unrecht zusammenschlügen. Er könne versichern, daß es sich bei seinem Mandanten nicht um einen politisch motivierten Vertreiber nationalsozialistischer Embleme handele. Mit einem Freispruch wolle er dem Gericht wohl nicht kommen, aber eine Einstellung des Verfahrens gegen eine entsprechende „Einbringung“ (eine Spende an eine gemeinnützige Einrichtung) liege doch wohl im Bereich des Möglichen.
Lag nicht: Das Wort hatte die Staatsanwaltsreferendarin Frau
Münzel, die sich auf eine Einstellung des Verfahrens nicht einlassen wollte. Stattdessen tauchte Oberstaatsanwalt von Bock und Polach als Zeuge im Gerichtssal auf. Während die Verhandlung aus verfahrenstechnischen Gründen unterbrochen war, plauderte von Bock aus der Schule: In entsprechenden Fällen habe es jeweils 30 bis 75 Tagessätze gegeben. „Wenn da jetzt ein Herr S. auftaucht mit 25 Tagessätzen, fällt der da extrem raus.“
Der Wink mit dem Zaun traf auf offene Ohren. Noch bevor Oberstaatsanwalt von Bock seine Aussage machte, zogen sich Anwalt und Mandant zu einer kurzen Beratung zurück. Ergebnis: Der Angeklagte Günter S. zog seinen Einspruch gegen den Strafbefehl über die Zahlung von 625 Mark zurück. Mittlerweile hatte sich nämlich herausgestellt, daß der Tagessatz dort zu Gunsten des Angeklagten falsch berechnet war: Statt der eingeforderten 25 Mark hätte S. mit mindestens 50 Mark Tagessatz bei einer erneuten Verurteilung rechnen müssen. ma
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