: Das Kilo Tomaten für 20 Mark
■ Westwaren im Ostberliner Einzelhandel / Fachverband der Lebensmittelhändler gegründet / Private und HO gemeinsam
Tomaten, Gurken, Pfirsiche, Kiwis, Orangen, dazu Büchsenbier und Coca-Cola - in einigen Ostberliner Kaufhallen sieht es seit vergangener Woche „wie im Westen“ aus. Einzig die Preisschilder lassen die Euphorie schnell der Ernüchterung weichen: Ein Kilo Pfirsiche für 25 Mark, die gleiche Menge Tomaten bekommt man für knapp 20 Mark, und eine grüne Gurke kostet fast neun Mark.
Aber ein Anfang ist gemacht. Und da die DDR-Bevölkerung, von der jeder Sparer durchschnittlich 8.000 Mark auf dem Konto zu liegen hat, derzeit aus Angst vor einer möglichen Geldabwertung im Kaufrausch taumelt, stehen an den Kaufhallen mit Westangebot lange Schlangen.
Der vom Magistrat in der vergangenen Woche sanktionierte Ein- und Verkauf westlicher Waren für DDR-Mark kann aber auch seine Stolpersteine haben, über die so mancher unerfahrene Händler ins Bodenlose stürzen könnte. Hilfe bietet jetzt ein dieser Tage gegründeter „Fachverband der Lebensmittelhändler der DDR“ an.
Dieser Vereinigung geht es jedoch nicht nur um Beistand bei Ost-West-Kontakten. Ob private, (konsum-)genossenschaftliche oder (HO-)staatliche Händler - der Verband will die grundlegenden Interessen der Branchenkollegen konsequent vertreten.
Und das auch im Inland gegenüber den bislang herrschenden Willkürpraktiken des sozialistischen Großhandelskombinats, für das schon seit Jahren - allerdings auch wegen der maroden DDR-Wirtschaft - viele der abgeschlossenen Verträge nur wertloses Papier waren. Auch die fachliche Qualifizierung der Händler gehört zum Angebotsspektrum des Berufsverbandes. So werden Kurse für Unternehmensgründung und -führung, für Finanzierung, Marketing, Steuerpraxis und Preispolitik offeriert. Rechtsberatung und -vertretung sichert man den Verbandsmitgliedern ebenso zu.
Das nötige Know-how will sich die Verbandsleitung übrigens nicht mühsam auf autodidaktische Weise erwerben. Konkrete Absprachen sichern die Unterstützung ähnlicher Gremien in der Bundesrepublik und West-Berlin zu.
Peter Berger
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