: Mein Spielraum
■ Interview mit Kameramann und Jurymitglied Michael Ballhaus
Herr Ballhaus, Sie sind bekannt für die Wendigkeit und Artistik Ihrer Kamerabewegungen. Stimmt es, daß Sie hierbei von Max Ophüls beeinflußt wurden, dessen Dreharbeiten zu „Lola Montez“ Sie in den 50er Jahren besucht haben?
Ich glaube, daß es da eine Geistesverwandtschaft gibt. Natürlich habe ich später alle Filme von ihm gesehen und sehr bewundert, aber es gibt sicher auch noch andere Einflüsse. Ich glaube aber vor allem, daß die Beweglichkeit der Kamera immer mit den Geschichten zu tun hat. Ich möchte keinen Stil haben, ich möchte kein Kameramann sein, dessen Arbeit man nach zehn Minuten erkennt, ich möchte viel mehr, daß jeder Film von mir anders aussieht. Wenn Verwandtschaften zwischen den Filmen bestehen, dann vor allem, weil ich manchmal ähnliche Geschichten mag.
In Ihren Filmen mit Fassbinder gibt es die Tendenz, die Bilder, in sich noch einmal zu rahmen, durch Türen oder Fenster noch einmal einzuengen.
Das hing aber mit den Fassbinder-Geschichten zusammen, weil diese Geschichten etwas mit Enge zu tun haben.
Dennoch setzen Sie bestimmte Signaturen, z.B. den 360-Grad -Schwenk, den man sofort mit Ihrer Arbeit assoziiert.
Das gebe ich zu, das ist eine Art trade mark geworden für mich (lacht). Aber dennoch bleibe ich dabei, daß die Kameraarbeit etwas Dienendes sein sollte und sich nicht gegen die Geschichte verselbständigen sollte.
Sind Sie trotz der Komplexität Ihrer Kamerabewegungen ein schneller Kameramann?
Ja, ich bin ein schneller Kameramann. Ich versuche, vorbereitet zu sein, auf das, was mich erwartet an einem bestimmten Drehtag. Aber ich mache nicht nur allein für mich meine Hausarbeiten, ich bereite auch meine crew vor, ich informiere sie bei einer Motivbesichtigung über das, was ich haben will. In meinem neuen Film „The Fabulous Baker Boys“ gibt es beispielsweise eine lange Kamerafahrt durch einen Ballsaal. Einen solchen Raum auszuleuchten, dauert acht Stunden. Deshalb schicke ich meine crew schon am Vortag dorthin und lasse sie nach meinen präzisen Anweisungen alles vorbereiten. Ich weiß immer genau, was der Regisseur und ich wollen, ich will nicht am Drehort etwas erfinden oder 1000 Sachen ausprobieren.
Vor einigen Jahren lief Ihr zweiter Film mit Scorsese, „The Color of money“ als Eröffnungsfilm der Berlinale. Wie sieht Ihre gemeinsame Arbeit aus?
Scorsese ist sehr genau vorbereitet. Er gibt mir oft vier Wochen vor Drehbeginn eine Liste der einzelnen Einstellungen. Da steht drin: Großaufnahme oder: Weitwinkel oder: Fahrt von links nach rechts. Damit signalisiert er mir den Rhythmus einer Szene. Mein Spielraum ist dabei, erst einmal den Raum zu finden, in dem die Szene stattfindet und dann natürlich, ihn auszuleuchten. Da redet mir Scorsese überhaupt nicht hinein. Bei Scorsese besteht der Spaß eigentlich darin, seine Phantasie zu erfüllen und ich fühle mich auch überhaupt nicht eingeengt, wenn er mir die Liste der Einstellungen gibt, denn auch bei den Bewegungen und den Einstellungsgrößen gibt es für mich Variablen.
Ich glaube, diese Methode unterscheidet sich sehr von der Arbeit an „Broadcast News“, der auch vor einigen Jahren in Berlin lief?
Ja, bei anderen Regisseuren als Scorsese gibt es etwas mehr, was man einbringen muß, da ist die Phantasie etwas offener. Aber mir machen beide Arbeitsweisen Spaß. Bei „Broadcast News“ habe ich z.B. nicht gewußt, wie der Film aussehen wird, wenn er fertig ist. Ich war ganz überrascht, auch angenehm überrascht. Da waren ganze Szenen und ganze Charaktere herausgeschnitten worden, weil der Film einfach zu lang war.
Ihre Filmographie zeigt so etwas wie ein Wechselspiel: oft arbeiten Sie mit etablierten, erfahrenen Regisseuren zusammen, aber erstaunlich häufig auch mit Regieerstlingen.
Das ist eine Kombination, die mir gefällt. Zum einen mit einem Regisseur wie Scorsese oder Fassbinder zu arbeiten, der sehr genau weiß, was er will, der eine sehr präzise Vision von einem Film hat. Und dann zur Abwechslung mit einem jungen Regisseur zu arbeiten, dem man helfen kann, das zu realisieren, was er sich vorstellt.
Ihrem neuen Film, „The Fabulous Baker Boys“ sieht man an, daß der Schnitt sehr stark durch die Kameraarbeit vorbestimmt ist.
Ja, ich drehe Filme gern auf den Schnitt hin, ich bin nicht unbedingt dafür, jede Szene in allen möglichen Einstellungsgrößen zu drehen und dann beim Schnitt das Problem zu haben, daß die Bildübergänge nicht genau zusammenpassen. Es ist mir schon lieber, wenn etwas „ausgedachter“ und „gestalteter“ ist, weil, es sonst zu Bild - und Szeneübergängen kommt, die zufällig sind. Und alles, was zufällig ist, kann gut sein, muß aber nicht gut sein.
Noch eine Abschlußfrage zu Ihrer Jurytätigkeit. Wie beurteilen Sie die übermächtige Präsenz der Filme der US -Majors?
Ich muß sagen, daß ich die Präsenz der Amerikaner gerechtfertigt finde, weil Amerika das größte Filmland der Welt ist. Die drehen die meisten Filme, nämlich etwa 500 im Jahr, und daß bei 500 Filmen mehr gute dabei sind als bei 50, ist doch ziemlich klar. Es kommt immer nur auf die Auswahl der Filme an und darauf, wer sie auswählt.
Interview: Gerhard Midding und Lars-Olav Beier
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