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De Hadeln muß gehen

■ Die Berlinale 1990 war ein Erfolg. Dank der Filme im Forum. Beinahe wäre es dem von Moritz de Hadeln verantworteten Wettbewerbsprogramm gelungen, die erste Gesamtberliner Berlinale zum größten Flopp ihrer Geschichte zu machen

Er kann ja nicht nur ein bißchen deutsch, er kann ja auch ein bißchen englisch: Soll de Hadeln doch nach Los Angeles gehen, wenn er Hollywood so liebt und ein Festival von Previews veranstalten will. Oder er bewirbt sich einfach bei Oliver Stone als Presserefernt.

Mit seinem Sonderbären für Oliver Stone, den er wohl erst geschaffen hat, als klar wurde, daß Stone keinen Preis bekommt, hat de Hadeln noch einmal deutlich gemacht, daß für ihn einzig das akademische amerikanische Big Money-Kino Flair hat. Die Qualität der Filme - ob amerikanisch oder nicht - ist ihm dabei offensichtlich scheißegal. Schlimm war an diesem Berlinale-Wettbewerb allerdings nicht allein, daß schlechte Filme gezeigt wurden - gute Filme sind halt selten -, sondern daß dabei noch bestimmte politische Tendenzen verfolgt wurden. Berlin wird Reichshauptstadt, und die Berlinale verklärt den Krieg. Mildes Spätlicht in Vietnam (Stones Born on the 4th of July) und in Los Alamos (Joffes skandalöse Schattenmacher) - schöner Abglanz auf der Bombe, gerecht und malerisch der Winterkrieg im finnischen Wettbewerbsbeitrag Talvisota. Wie kann man so einen militaristischen Historienschinken in den Wettbewerb eines A-Festivals bringen?

Es hat keinen Sinn, Preise zu kommentieren, wenn die Berlinale selbst in Frage steht. Das liegt nicht an den Filmen - im Forum vor allem hat man sehen können, daß der Zustand des Kinos gar nicht so verheerend ist, wie er sich im Wettbewerb dargestellt hat. Es liegt an der Institution und ihrem Leiter.

Nennen wir noch einmal die drei schönsten Filme des Festivals, man kann es nicht oft genug tun: Aki Kaurismäkis Mädchen aus der Streichholzfabrik, Woddy Allens Crimes and Midemeanors, Eric Rohmers Conte de printemps. Wäre es nicht die Aufgabe eines Festivals, die schönsten und wichtigsten Filme hervorzuheben? Keiner der drei hat einen Bären bekommen.

Natürlich kann man die hier gegebene Auswahl subjektiv und willkürlich nennen. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, daß diese Filme gar nicht im Wettbewerb liefen. Allen und Rohmer wurden außer Konkurrenz gezeigt, Kaurismäkis Filme werden seit Jahren im Forumsprogramm vorgestellt.

De Hadeln ist viel zu sehr mit Stars und Stones befaßt, als daß er noch Zeit hätte, mal ins Kino zu gehen und sich einen Kaurismäki-Film anzusehen. Wie kommt es sonst, daß sich der Wettbewerb anscheinend noch nie um einen Kaurismäki Film bemüht hat und sich stattdessen von den Finnen dieses widerliche Nationalepos aufschwatzen läßt? Der Wettbewerb hätte sich bemühen müssen. Wenn er das Mädchen in der Streichholzfabrik nicht bekommen hätte, hätte er überhaupt keinen finnischen Film nehmen dürfen. Der Wettbewerb müßte Kaurismäki gegen eine finnische Filmpolitik unterstützen, die mit seinen Filmen nichts anfangen kann - für den europäischen Filmpreis 89 wurde Kaurismäki von den Finnen gar nicht erst nominiert.

Kaurismäki ist nicht der einzige Fall eines Forumsfilms, der in den Wettbewerb gehört hätte. Zu nennen ist da auch Sergej Bodrows SER - Freiheit ist das Paradies (UdSSR), die Geschichte eines dreizehnjährigen Jungen, der aus dem Jugendheim ausbricht, um seinen Vater zu suchen und der ihn im Gefängnis schließlich findet. Bodrow ist kein Unbekannter. Vor zwei Jahren erregte sein letzter Film, die Nichtprofessionellen, im Forum großes Aufsehen. Der Wettbewerb hätte handeln müssen.

Warum hält es der Produzent des neuen Fellini für günstiger, den Film erst in Cannes zu zeigen, obwohl er in Italien schon läuft? Immerhin verzögert sich die europäische Auswertung des Films dadurch um ein halbes Jahr. Wie kommt es, daß sich Eric Rohmer mit seinem Frühlingsmärchen nicht dem Wettbewerb stellt? Er hätte alle Preise verdient. Vielleicht erinnert sich Rohmer an seinen Kollegen Jacques Rivette, dessen hinreißende, aber nicht kommerzielle Viererbande hier im letzten Jahr mit einem demütigenden Trostpreis abgespeist wurde, während sich Rain Man, ein ehrenwerter Film, der die Publizität aber nicht im allergeringsten nötig hatte, mit Ehrungen überhäuft sah.

Die Berlinale steht eben stets auf Seiten der Mächtigen. Hier die US-Majors, dort DDR-Filmminister Pehnert. Ein perverser Dreier! Natürlich mußten die Berlinale -Verantwortlichen, wenn sie DDR-Filme haben wollten, mit deren obersten Zensoren zusammenarbeiten, sonst hätten sie die Filme nicht gekriegt. Aber mußten sie Pehnert tatsächlich mit einer Plakette für Verdienste um die kulturelle Zusammenarbeit auszeichnen?

Das war im letzten Jahr. Inzwischen ist einiges über Zensurpraktiken im DDR-Kino und Pehnerts Rolle dabei ans Licht gekommen.

Wie reagiert die Berlinale? Gleich im dritten Absatz des offiziellen Berlinale-Grußworts von de Hadeln und Ulrich Gregor „noch einmal der besondere Dank dem Ministerium für Kultur der DDR, der Hauptverwaltung Film sowie der Bezirksfilmdirektion Berlin“. So schafft man sich Vertrauen bei Filmfreunden und Filmemachern in Ost und West.

Die Berlinale hat nur Sinn, wenn Wettbewerb und Forum zusammenarbeiten. Der Wettbewerb muß zwar auch ein paar große Produktionen und Filme berühmter Regisseure zeigen und ein paar Stars anziehen, sein Renommee aber muß auf den Entdeckungen beruhen, die er möglich gemacht hat. Im Wettbewerb müssen zumindest die zweiten Filme junger Regisseure laufen, deren erste Filme im Forum zu sehen waren. So wie im Wettbewerb von Cannes die zweiten Filme von Jim Jarmusch und Spike Lee und sogar die ersten Filme von Steven Soderbergh (Sex, Lies, and Videotapes) und Jane Campion (Sweetie) gezeigt wurden. Dafür braucht man allerdings jemand mit Gespür für Filme. De Hadeln muß gehen.

Thierry Chervel

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