: Gleiches Recht für alle-betr.: "Grünes Licht für Ausländergesetz", taz vom 10.2.90, "Ausländerwahlrecht: Entscheidung 1990", taz vom 12.2.90
betr.: „Grünes Licht für Ausländergesetz“, taz vom 10.2.90, „Ausländerwahlrecht: Entscheidung 1990“, taz vom 12.2.90
Wir AusländerInnen sind der Überzeugung, daß für das Zusammenleben in einer Gesellschaft wie hier in der Bundesrepublik Deutschland die Entscheidungsfreiheit der Individuen und der Interessengruppen eine Notwendigkeit ist. Als in der Bundesrepublik Deutschland lebende AusländerInnen sind wir zweifellos ein Teil dieser Gesellschaft. Obwohl wir in etwa die gleichen Pflichten haben wie die einheimische Bevölkerung und uns der Erfüllung dieser Pflichten auch bewußt sind, haben wir keine Rechte, die zur Gestaltung der Gesellschaftsstruktur beitragen. Es ist selbstverständlich, daß die AusländerInnen die ihnen auferlegten Pflichten zu erfüllen haben, es muß aber auch selbstverständlich sein, ihnen Rechte für die Beteiligung an der Mitgestaltung der gesellschaftlichen Einrichtungen zu geben.
Im Gegensatz hierzu stehen die Vorstellungen der sogenannten „christlichen Parteien“, die in der Neuauflage der Ausländergesetze und durch Aussagen einiger PolitikerInnen (zum Beispiel von Herrn Zimmermann) zum Vorschein kommen. Andere entscheiden über die Wohnung, in der wir wohnen sollen, über den Arbeitsplatz, an dem wir arbeiten sollen, darüber ob wir unsere Kinder und unsere Familie nach Deutschland holen dürfen, fast sogar, ob und wen wir heiraten dürfen. Kurz gesagt, andere bestimmen über unser Leben, wir haben keine Rechte bei der Gestaltung unserer Zukunft. Wir möchten aber auf allen Ebenen des Lebens und unserer Zukunft selbst entscheiden dürfen. Was ist daran falsch, wenn wir darüber entscheiden wollen, ob unsere Kinder in der Bundesrepublik oder in unserer Heimat leben, ob wir nach drei oder vier Jahren in die Heimat zurückkehren? Es sollen nicht die jeweiligen PolitikerInnen, die gerade an der Regierung sind, durch Gesetzeseinschränkungen und durch Beschränkungen über uns entscheiden. Wir möchten nicht mehr, als die gleichen bestehenden Möglichkeiten und Entscheidungsrechte, wie sie die einheimische Bevölkerung auch hat.
Die freien Entscheidungsrechte sollen zumindest beinhalten, daß wir über die Gestaltung unseres Lebens selbst bestimmen können. Zu den Inhalten der Entscheidungsrechte gehören nicht nur die oben aufgezählten Forderungen, sondern auch die Mitbestimmung darüber, wer in den funktionellen Gesellschaftsstrukturen Entscheidungen fällt. Fehlt dieses Entscheidungsrecht in einer Gesellschaft, so gibt es in dieser Gesellschaft keine Demokratie. Der kleinste Schritt in Richtung Errungenschaft dieses Grundrechts Entscheidungsrecht - ist die Zulassung der ausländischen Bevölkerung zur Kommunalwahl.
(...) Eines der Hauptargumente derer, die gegen dieses Recht sind, ist die Befürchtung, daß vor allem die TürkInnen durch die Gründung radikaler Parteien die politische Auseinandersetzung in ihrem Heimatland auch auf dem Territorium der Bundesrepublik ausführen würden. Der prozentuale Anteil der AusländerInnen im wahlberechtigten Alter ist sehr gering und sie kommen aus verschiedenen Ländern, so daß die Möglichkeit, daß sie eine gemeinsame Partei gründen, für unwahrscheinlich gehalten werden muß. Die Beispiele in Holland, Schweden und Dänemark zeigen auch, daß diese Befürchtung unrealistisch ist. Das Wahlrecht für AusländerInnen wird sicherlich eine Veränderung in der politischen Arena zur Folge haben. Dies wird aber die demokratische Entwicklung im positiven Sinne beeinflußen.
Merdan Yildirim, Ulm
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