: Die Nestoren der DDR-Revolution und die Moral
Die Theaterregisseurin und Autorin Freya Klier, 1988 aus dem Ostberliner Knast in den Westen entlassen, über den DDR-Kulturbetrieb ■ D E B A T T E
Nachdem die Mauer endlich gekippt war und DDR-Müde wieder scharenweise ihre Koffer packten, warfen sich ihnen Schriftsteller und Künstler mit einem hehren Appell zum Bleiben entgegen. Wider den Massenabbruch von DDR-Dasein die Vision eines neuerlichen Aufbruchs, der nun nach vierzig Jahren endlich ein sozialistischer sein sollte.
Doch der moralische Imperativ, flankiert von einer Heymschen Schimpfkanonade aufs Volk, geriet zum Bumerang, er erhitzt noch immer die Gemüter. Längst schon hat sich herumgesprochen, daß der Sozialismus, in den die „Nestoren der Revolution“ gehüllt waren, aus einem anderen Stoff bestand als jener graue, den die „Masse“ tagtäglich zu tragen hatte. Daß sie über Freiräume verfügten, unter denen wohl auch die niederen Schichten des Volkes der großen Idee einiges hätten abgewinnen können. Das Bild Monika Marons von der „Arroganz des Satten, der sich vor den Tischmanieren eines Ausgehungerten ekelt“, hätte treffender nicht ausfallen können.
Doch sei, da wir nun kundig sind, wovon die großen Literaten träumen und was sie schmerzt, noch eine andere Frage erlaubt. Die Frage nämlich, was sie denn selbst gemessen an ihren Möglichkeiten - getan haben für ihre Idee.
Und da legt ein Blick auf die frühen Etappen der DDR -Geschichte erste Ungereimtheiten bloß: Wem gelang denn unter Ulbricht überhaupt eine Schriftstellerkarriere? Uwe Johnson nicht; nicht Huchel, Helga Novak, Loest, Zwerenz, Kunze... Denn die stemmten sich durchaus gegen jenes Sozialismus-Plagiat, das ein erwachsener Mensch offenbar auch in den ersten Jahrzehnten der DDR schon zu durchschauen vermochte. Wenn er es wollte.
Unsere „Revolutionsnestoren“ von heute gehörten damals nicht zu den Verfemten. Fast scheint es, als hätten sie das Auge jeweils dann ein wenig zugekniffen, wenn es die Wirklichkeit erspähte. In ideologisch-schematischen Rastern wurde DDR (stets identisch mit Sozialismus) als Moral behauptet. So steht in Christa Wolfs Geteiltem Himmel auf der einen Seite Rita - ebenbürtige Schwester Franziska Linkerhands und ebenso sensibel-kraftvolle Dableiberin wie diese - und auf der anderen Manfred, der schäbige Flüchtling ... ein Riesenhuber-Verschnitt, dessen Abgang wir nur allzu leicht verschmerzen konnten. Es ist ein ernsthafter Versuch und doch zugleich eine säuberliche Denunziation all jener Menschen, die am Mauer-Dilemma letztlich zugrunde gegangen sind.
Noch mulmiger allerdings wird mir bei der Lektüre von Stephan Heyms Keine Angst vor Rußlands Bären. Neugierige Fragen und offene Antworten über die Sowjetunion (Düsseldorf 1955). Denn dieser Reisebericht verweist auf eine vermutlich glücklichere Allianz des Autors mit dem Ulbricht-Regime, als dieser dem Leser in seinem frisierten Nachruf heute glaubhaft zu machen sucht: 1955, nachdem der erste große Schub der - nach Millionen zählenden Verschleppten aus Stalins sibirischen Arbeitslagern heimkehren durfte, bricht auch S.Heym nach Moskau auf. Von dort will er den Beweis erbringen, daß es solche Lager im Mutterland des Kommunismus nicht gibt. Also läßt er sich jenen Bären aufbinden, mit dem das Moskauer Justizministerium drei Jahre zuvor schon eine amerikanische Arbeiterdelegation blufft: Die durfte per Flugzeug über Kiew, Charkov, Moskau und Umgebung kreisen - und bestätigte anschließend ihren Gastgebern, sie habe zwar herrlich blühende Obstgärten entdeckt, nirgendwo jedoch Arbeitslager...
Zurück aus Moskau, schnaubt Autor Heym denn auch los:
„Nichts ist auf der Welt schwerer zu beweisen als die Nichtexistenz einer Sache, die nicht existiert. Beweise dem Leser der Westpresse, dem Hörer westlicher Radiostationen, daß die Schauermärchen, die über die Sowjetunion verbreitet werden, erstunken und erlogen sind!“ (S.184ff.)
Womit hat Ulbricht ihm seine Reise gedankt?
Bildwechsel. Jahre später, anläßlich der Ausbürgerung Wolf Biermanns, protestieren die (nunmehr berühmten) Literaten. Sie protestieren laut und vernehmlich, dafür werden sie bestraft. Nicht in jenem drakonischen Ausmaß, das anonymere Biermann-Bekenner trifft, sie fallen aus der Gunst des SED -Zentralkomitees - nicht weniger, doch auch nicht mehr. Von diesem Ereignis zehren sie noch vierzehn Jahre.
Haben sie widerstanden, überhaupt widerstehen müssen? Wie weit waren sie am Ende von jenem Volk entfernt, das sie nun derart enttäuscht?
Wir haben auf sie nicht zählen können: In den frühen 80er Jahren beispielsweise versucht die Stasi auf exemplarische Weise, unseren Berliner Friedenskreis zu sprengen. Wir benötigen dringend Beistand, und wir haben „Beziehungen“: Unsere Pastorin ist mit Christa Wolf befreundet. So bitten wir die Autorin um eine Lesung als Zeichen der Solidarität die aber lehnt ab. Meidet die gesamte Friedensbewegung über die gesamten 80er Jahre. Und während wir die Negativbescheide unserer Einladungen austauschen, verfolgen wir über TV, wie Christa Wolf sich im Westen als Galionsfigur der DDR-Friedensbewegung feiern läßt. Nein, sie widerspricht nicht. Und nimmt bald darauf ohne Zögern den „Geschwister-Scholl„-Preis entgegen - ein Preis wohlgemerkt, der nicht für Literatur vergeben wird, sondern für großen persönlichen Mut und Standhaftigkeit. Da sind wir sprachlos, und unterdessen werden die tatsächlich Standhaften daheim durch die Mangel gedreht.
Später entnehmen wir dem 'Neuen Deutschland‘, die Schriftstellerin habe den Nationalpreis der DDR entgegengenommen - empfangen aus den Händen jener Kulturbürokraten, die so viele ihrer Kollegen aus dem Land geekelt hatten. Und wieder schämen wir uns - für sie.
Auch Stephan Heym hält sich völlig raus, doch er ist dick im Geschäft: Redakteure laufen sich die Hacken ab, Heym fordert Bares auf die Hand und nicht zu knapp, bei Scheck sagt er sofort ab.
Hat er von seinem satten Devisenkonto der Opposition, zu deren Nestor er sich nun küren läßt, auch nur eine müde Mark gestiftet ... für Drucker, ein Buch oder Papier? Hat er überhaupt noch wahrgenommen, was in diesem Land passiert?
1987 - Heym ist soeben von einem österreichischen Skiurlaub zurück, und in der DDR ist die Kacke am Dampfen - fleht Krawczyk, bei dem die Stasi bereits auf Schärfestufe drei geschaltet hat, den berühmten Autor an, er möge doch endlich seine Stimme erheben und über die Nöte der DDR-Bürger berichten. Doch deren Nöte sind ihm wohl fremder als Österreichs Pisten: Heym läßt Krawczyk mit der Bemerkung stehen, er solle das mal selber machen, er sei ein alter Mann und krank dazu. Beides hatte ihn Wochen zuvor nicht daran gehindert, in einer tragischen Verwechslung seiner Person mit der Kulturpolitik der DDR diese öffentlich als liberal zu preisen.
Ich weiß, es ist ekelhaft, im Sumpf des Details herumzustochern. Noch ekelhafter allerdings ist mir die Selbstbeweihräucherung von Literaten, die ein offenes Wort nicht einmal eine läppische Reise gekostet hätte - und die es dennoch vorzogen zu schweigen. Noch rechtzeitig zu „Revolutionsbeginn“ standen sie auf der Tribüne, um sich zu deren Nestoren erheben zu lassen.
Mut und Standhaftigkeit habe ich in der DDR durchaus erlebt. Nur eben aus jener „anonymen Masse“ heraus, die nun bei den Bewohnern des Elfenbeinturms so in Ungnade gefallen ist. Es waren Menschen, die - obwohl sie keine Stimme hatten - etwas riskierten. Für ihren Mut wurden sie nicht mit Preisen dekoriert, auch winkte keine Auflagenerhöhung eigener Bücher.
Nicht, daß die Heyms und Wolfs vom Sozialismus träumen, finde ich penetrant, sondern, daß sie uns mit dieser Vokabel noch immer ihre Lebenslügen auftischen. Nestoren hatte die DDR-Opposition nicht, die waren von der SED längst aus dem Land gedrängt.
Freya Klier
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