: Finanzspritzen zum Fressen
■ Auch die Bundesregierung muß die Einkommen in der DDR aufpäppeln
Es geht los. Mauerdurchbruch und geliftete Medien, neue Parteien und Redefreiheit, all diese revolutionären Veränderungen in der DDR waren nichts anderes als die Erfüllung alter Wünsche, die auch so manch eingefleischter Sozialist in seiner realen Umgebung hegte. Nun jedoch sieht es so aus, als ob vor den Wahlen zum ersten Mal eines der wenigen Flämmchen gelöscht wird, die das zarte Leuchtfeuer des Sozialismus der DDR am Brennen gehalten haben: die Lebensmittelpreise, die bislang durch horrende Subventionen von 30 Milliarden Mark auf Niedrigstniveau gehalten wurden. Es gibt keine Alternative zur Preiserhöhung, will man die Mauer nicht wieder hochziehen oder mal eben blitzartig in der gesamten EG ein ähnliches Subventionssystem einführen, obwohl das Unternehmen - vorübergehend - größere Probleme nach sich ziehen wird, als man sich auf den ersten Blick vielleicht vorstellt.
Den Akt der Streichung dieser Subventionen selbst wird man vielleicht noch damit verkaufen können, daß jeder Bürger zum Ausgleich 150 Mark im Monat mehr bekommen wird. Unterm Strich mag diese Aufstockung knapp dieselben 30 Milliarden pro Jahr ergeben. Doch wird damit nur ein Bruchteil der tatsächlichen Preiserhöhungen aufgefangen werden können. Es wäre schließlich eine Milchmädchenrechnung, vom derzeitigen Produktionspreisniveau im Bereich der jetzigen DDR auszugehen. Die Einkommen werden den Preisen um Jahre hinterherhinken. Deshalb wird zukünftig auch Bonn die Einkommen in der DDR mitsubventionieren müssen.
Es heißt daher Abschied nehmen von der verlogenen Formel der Bundesregierung: Geldspritzen nur zur Finanzierung marktwirtschaftlicher Reformen und nur zu investiven Zwecken. Die Westberliner bekommen schließlich auch Geld zum Verfressen, damit sie in der Stadt bleiben - wobei ihr Standortnachteil sich zunehmend in wirtschaftlich immer attraktivere Berliner Luft auflöst. Und außer der Berlinzulage stehen noch andere naheliegende und durchaus konsumptive Finanztöpfe zur Umwidmung bereit: Auf die Dauer ist beispielsweise der horrende Aufwand, der zum Empfang der Übersiedler angestellt wird, ohnehin nicht mehr aufrechtzuerhalten. Nicht zu vergessen, daß auch die Rüstungsausgaben reiner Konsum sind, deren unsinnige Höhe dieser Tage sogar die Bundesbank indirekt in Frage stellt.
Ulli Kulke
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