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Die Landung

■ Eine Erzählung von June van Ingen

Sie kamen durch das, was früher die Berliner Mauer und in der Tat „Die Mauer“ war, bis sie dann Stück für Stück verkauft wurde, und niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, was da vor sich ging. Ich spreche von den Außerirdischen.

Man stelle sich vor - ein ganzes Land, das von irgendwoher ein Signal bekommen zu haben schien und plötzlich in Scharen über die Mauer und über die Grenzen kam, um dann ganz einfach zu verschwinden. Und kommen Sie mir nicht damit, die Leute seien doch gar nicht verschwunden. Man braucht sich doch nur die Zahlen anzusehen oder sich anzuhören, was sie im Fernsehen sagen über die Tausenden und Abertausenden, die jeden Tag in die Bundesrepublik kommen, während das Land durchaus nicht voller wird. Die Außerirdischen haben ganz einfach das Prinzip des Zauberkruges umgekehrt: Statt daß der Krug nie leer wird, wird das Glas nie voll. Ich nehme an, Sie haben doch auch nicht den Eindruck, daß Sie von diesen Leuten überrollt werden, oder? Ich meine dabei durchaus Sie, meine Leser, und nicht irgendeinen Ganeff im Westberliner Stadtteil Gropiusstadt, der sich Sorgen macht, die Ostdeutschen wollten ihm das Wenige, was er zu besitzen glaubt, wegnehmen. Das ist zwar auch für mich ein hochinteressantes soziologisches Problem, aber im Augenblick wende ich mich an Sie, einen aufgeklärten Menschen, der sich vielleicht, seit das alles angefangen hat, auch schon manchmal die Frage gestellt hat, wo sie denn wohl alle geblieben sind, diese Ostdeutschen. Natürlich haben wir alle die Trabbis und Wartburgs gesehen, wie sie die Autobahnen entlangtuckern, aber keiner von uns hat erlebt, wie ganze Schwärme von Menschen unsere Dörfer und Städte überschwemmt hätten. Ja, ich weiß, was Sie jetzt sagen werden, aber das beweist mir nur, wie recht ich habe mit dem, was ich sage. Wir sehen, wie sie in langen Schlangen auf den Autobahnen stehen und darauf warten, in den Westen zu kommen, und wir sehen, wie sie in beträchtlicher Anzahl zu Fuß die Grenze überqueren und durch das Brandenburger Tor gehen, in beiden Richtungen, und natürlich gab es und gibt es immer noch die Menschenmassen, die den Ku'damm bevölkern und all das einkaufen, was sie in ihrem eigenen Land nicht bekommen können. Die Außerirdischen sind - ich hätte fast gesagt: auch nur Menschen, aber ich verbessere mich und sage: Sie sind „in vieler Hinsicht durchaus menschlich“ oder doch „menschenähnlich“. Aber das müssen sie schließlich auch, wenn sie uns irreführen wollen, nicht wahr? Es sind also gerade so viele, um uns merken zu lassen, daß immer mehr neue Leute reinkommen, aber die Außerirdischen kontrollieren den Zustrom, der sich in einem solchen Rahmen hält, daß die Behörden damit noch fertigwerden. Das Faß, so sei an dieser Stelle noch einmal betont, fließt nie über. Selbst die Zahl der Westberliner und Westdeutschen, die jetzt alte Freunde und alte Klassenkameraden aus Ost-Berlin und Ostdeutschland wiedertreffen, ist gerade so groß, daß wir alle die Menschen in Berlin vergessen, die nicht die Gelegenheit haben, jemanden von der anderen Seite kennenzulernen. Und die Ausländer, die nach Berlin kommen, um ganz einfach dabei oder „vor Ort“ zu sein - wieviele Ostdeutsche lernen die wirklich kennen? Die ganze Sache kommt mir vor wie Zauberei, wenn ich an Zauberei glauben würde - was ich nicht tue. Ich glaube vielmehr an das Know-how, das überlegene technische Wissen der Außerirdischen. Ungeachtet dieser Invasion ganzer Horden also - oder nein, wir müssen sogar, und das war vorauszusehen, neue Begriffe erfinden, weil die alten, wie „Horde“, „Invasion“ usw., allesamt aggressive und ausgesprochen negative Nebenbedeutungen haben - oder sogar Hauptbedeutungen, wenn man es richtig betrachtet -, während diese Menschen unvorstellbar friedfertig sind. Peaceniks oder Friedensbewegte könnte man sie nennen, wenn nicht auch diese Begriffe einen negativen Beigeschmack hätten, jedenfalls in den Ohren vieler von denen, die sich jetzt mehr oder weniger heimlich ins Fäustchen lachen über das, was da passiert und die vielen neuen Menschen, die jetzt in den Westen kommen. Neu? Natürlich sind sie neu. Ich sage Ihnen doch - ich gebe es Ihnen hier schwarz auf weiß, um genau zu sein -, daß die Leute, die da im Oktober zum ersten Mal die ungarische Grenze überquerten und in der westdeutschen Botschaft in der Tschechoslowakei um politisches Asyl baten und schließlich am 9.November sozusagen die Wände hochgingen, in Wirklichkeit Außerirdische waren, die ganz einfach die Gestalt von Bürgern der DDR angenommen haben. Und fragen Sie mich nicht, wie diese Leute gleichzeitig Ostdeutsche und Außerirdische sein können - ich kann zwar die Tatsachen analysieren, die der gegenwärtigen Situation zugrunde liegen, aber nicht den Anfangspunkt oder die Grundprinzipien eines langfristigen Prozesses beschreiben. Die Außerirdischen sind klüger als wir - um es milde auszudrücken -, und selbst die Katze, die einen König anschaut, wird nicht ihre Zeit damit verschwenden, daß sie herauszufinden versucht, was wohl in seinem Kopf vorgehen mag.

Also kehren wir zurück zu meiner ganz persönlichen Meinung, die ich Ihnen ganz kostenlos und unverbindlich erläutern will. Wer ich bin? Ich bin Max, ein ehemaliger österreichischer Prinz, der jetzt in Australien lebt, ein Mittfünfziger mit einem Bauch wie ein Südstaatensheriff. Außerdem lebe ich illegal in diesem Land, aber das ist eine andere Geschichte. Immerhin habe ich deswegen vielleicht ein besseres Gespür als Sie für das, was andere Illegale tun. Dazu kommt noch meine gute Kenntnis der Geschichte und mein enormer Verstand, der zwar nicht an deren Verstand heranreicht, aber immerhin, das möchte ich noch einmal betonen, in der Lage ist, die Tatsachen zu erkennen und in einen Zusammenhang zu bringen. Das mit dem österreichischen Prinzen ist natürlich ein Märchen, obwohl ich einmal von niemand anderem als einem französischen Baron für einen solchen gehalten wurde, aber das ist ebenfalls eine andere Geschichte. In Wirklichkeit bin ich der Sohn eines jüdischen Arztes, der seine Heimat Österreich nach dem Anschluß verlassen mußte. Ich habe überall auf der Welt gelebt, und wie ich schließlich nach Australien gekommen bin, ist wiederum eine andere Geschichte. Jedenfalls war ich auch einmal Geophysiker und bin auch heute noch ein begeisterter Fan von Science-fiction, und ich war immer schon ein sehr qualifizierter Fachmann, was politische Analysen betrifft.

Außerdem bin ich ein Peacenik, ein ehrlicher Liberaler (das sage ich mit einem Lächeln), wenn Sie so wollen, und es gehört weit weniger Verstand dazu, als ich ihn besitze, den Außerirdischen hinter die Schliche zu kommen - schon wieder so ein aggressiver Ausdruck -, also nachzuvollziehen, was für die Außerirdischen der beste Weg ist, auf die Erde zu gelangen. Jedenfalls nicht die Landung mit einem Raumschiff. Entweder würde man sie abschießen, bevor sie überhaupt landen könnten, oder sie würden sofort gefangengenommen und ins Gefängnis gesteckt oder willkommen geheißen und sofort ihrerseits erobert. Auch wenn uns die Außerirdischen im Hinblick auf das Gebiet der interplanetarischen oder stellaren oder galaktischen Kommunikation voraus sein mögen, so können wir doch davon ausgehen, daß wir uns auf irgendeine Weise bald ihrer Technologie bemächtigen und sie früher oder später gegen sie verwenden würden. Also keine Landung mit dem Raumschiff auf dem Kennedy-Flughafen oder auf Charles-de-G. oder sogar im guten alten Kingsford Smith in Sydney - nebenbei gesagt, ich könnte Ihnen ein paar Dinge über die Australier und die dortigen Ureinwohner erzählen, bei denen Ihnen die Haare zu Berge stehen würden. Als nette, kleine, friedliche Infiltration - ein absolut passender, unverfänglicher Ausdruck, der leider durch verschiedene Weltkriege in Mißkredit geraten ist - könnte es gar nichts besseres geben, als in Gestalt von Ostdeutschen rüberzukommen. Ich meine, wir haben in der Science-fiction immer wieder gehört und gesehen, daß die Marsmenschen längst unter uns sind und unser so harmlos aussehender Nachbar in Wirklichkeit ein gefährlicher Venusianer ist - also lauter Bedrohungen und Gefahren -, und deswegen kommen die Außerirdischen nicht als einzelne Menschen, sondern als ein ganzes Volk, ein überaus sympathisches, friedliebendes Volk auf der Suche nach einem neuen Anfang.

Schließlich ist das eine alte Tradition überall auf der Welt, oder nicht? Angefangen von den barbarischen Horden, die das Römische Reich überrannten, bis hin zu Horace Greeleys Rat an junge Männer, nach Westen zu gehen und die amerikanischen Indianer zu überrollen. Ich weiß, daß die barbarischen Horden nicht gerade Volkshelden waren, aber das waren die Römer selbst schließlich auch nicht. Diese westliche Version von Völkerwanderung dagegen war immer schon überaus populär, und die Cowboys wurden immer schon geliebt und bewundert. Auf der Suche nach einer neuen Zielgruppe, die man zu einem Treck nach Westen motivieren könnte, kamen die Außerirdischen ganz folgerichtig auf die Ostdeutschen, ein armes, geplagtes, leicht angestaubtes Volk, das schon seit rund vierzig Jahren dahinvegetierte, und ehe man es sich versah, hatten sie es frisch herausgeputzt und neu lackiert und marschbereit - in der Mehrzahl junge Familien und Jugendliche, die selbst alle gerne Volkshelden sein wollten und außerdem noch gute, brave Bürger waren. Die Außerirdischen hätten gar keine bessere Tarnung finden können. Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß jedesmal, wenn einige von uns denken: „Natürlich ist das alles ganz großartig, aber was sollen wir mit diesen vielen Menschen machen, die jetzt herüberkommen, wo wird doch nicht einmal genügend Arbeitsplätze für uns selbst haben?“, sofort irgend so ein Reporter einen Wagen anhält, und der Fahrer winkt, und alle anderen Insassen lächeln und winken ebenfalls, und dann sagen sie: „Wir kommen nur für einen Tag herüber, wir fahren wieder zurück“ - und schon sind wir, die Fernsehzuschauer, beruhigt und auch ein bißchen gerührt, weil diese ostdeutschen Touristen all das, was wir jeden Tag sehen und was für uns selbstverständlich ist, in einem neuen Licht erscheinen lassen, weil wir plötzlich sehen, daß andere Menschen durchaus bereit und sogar erfreut sind, viele Kilometer zu fahren, nur um zu sehen, wie unser Alltag hier aussieht, wie wir leben. Und auf diese Weise erscheint unser Alltag und unser Leben auch in unseren eigenen Augen noch schöner und wertvoller.

Ich möchte aber nicht weiter darauf eingehen, wie gut das alles ausgedacht ist und funktioniert, sondern stattdessen erläutern, warum die Außerirdischen sich gerade Deutschland als Landeplatz ausgesucht haben. Ich will gar nicht von den Neonazis und Protofaschisten und sogenannten Republikanern sprechen, die jetzt vielleicht wieder sagen, daß Friedrich Barbarossa aus seinem Grab aufersteht und das große Deutsche Reich erneut zur Hegemonialmacht in Mitteleuropa aufsteigen wird - heute gehört uns Deutschland und so weiter in diesem Stil. Jedes politische Ereignis hat auch seine negativen Seiten und seine Mitläufer, aber ich vertraue darauf, daß die Außerirdischen massiven Einfluß auf die durchaus irdisch denkenden westdeutschen Politiker nehmen werden, um dieses faschistische Pack aufzuhalten. Ich zähle fest darauf. Die Zukunft wird es weisen. Aber betrachten wir ein paar andere Aspekte der Situation in Ostdeutschland oder, besser gesagt, der Situation im Ostblock, denn es ging ja nicht nur um Ostdeutschland - auch die Tschechoslowakei und Rumänien haben ihre alten kommunistischen Regierungen gestürzt, und Ungarn und Österreich waren die ersten Länder, die die Penetration des Eisernen Vorhangs ermöglicht haben, wobei die sexuellen Anklänge in diesem Zusammenhang nicht (ich wiederhole: nicht!) aggressiv gemeint sind. Hier war es, wo das erste Loch im Deich sich auftat, und wenn Ihnen jetzt immer noch nicht Österreich-Ungarn einfällt, dann sind Sie eben doch nicht so intelligent, wie ich Ihnen unterstellt habe.

Um die ganze Sache etwas spannender zu machen, möchte ich noch etwas zu der Jahreszeit sagen. Wir alle wissen, daß Revolutionen in der Regel im Frühling oder im Herbst stattfinden - man denke nur an die Französische Revolution, die Mai-Revolution von 1968 und den Prager Frühling, um nur die wichtigsten zu nennen. Nicht zu vergessen meine eigene Lieblingsrevolution, „le temps des cerises“. Die Russische Revolution stellt in diesem Zusammenhang die große Ausnahme dar, aber Rußland war schon immer und überall die große Ausnahme. Es darf ebenfalls nicht vergessen werden, daß die Außerirdischen bei der Wahl des Zeitpunkts mit diesem Monat möglicherweise gerade dieser großartigen Revolution eine Art Reverenz erweisen wollten, aber ich bin nun mal sentimental, was Revolutionen betrifft, wie sie wahrscheinlich schon an meinem Französisch gemerkt haben. Abgesehen von allen großen historischen Vorbildern bin ich jedenfalls der Meinung, daß es sich hierbei um einen äußerst geschickten Schachzug der Außerirdischen handelt, ihre friedliche Revolution - so werden wir ihren Einzug auf der Erde von jetzt an nennen auf den November zu verlegen, auf die Zeit kurz vor dem Jahresende, wenn es mit großen Schritten auf Weihnachten zugeht und die Älteren unter uns sich unwillkürlich fragen, ob sie es noch bis ins neue Jahr schaffen werden - und einige schaffen es auch nicht, wie Charlie Chaplin, der vor nicht allzu langer Zeit an einem Heiligabend starb, oder Gerhardt Schröder, ein alter kalter Krieger, dessen Lebenslicht am Silvesterabend verlosch. Was ich damit sagen will, ist, daß niemand besonders hohe Erwartungen mit dem November verknüpft - diesem elenden Monat, wie Paul Dessau zu sagen pflegte, der selbst ein patriotischer ostdeutscher Komponist war - und ich frage mich, was er heute wohl zu all dem sagen würde. Aus der Sicht der Außerirdischen jedenfalls war es ein ausgezeichneter Monat für ihre Aktion, die sich im Bewußtsein der Öffentlichkeit auf diese Weise mit dem Gedanken an Frieden auf Erden und allen Menschen ein Wohlgefallen verband.

Wenn die Jahreszeit als solche also gut gewählt war, so war die Wahl des Schauplatzes sogar noch besser getroffen. Der östliche Teil Mitteleuropas war schon seit geraumer Zeit ein abgelegenerer, vergessenerer Landstrich als beispielsweise der Matto Grosso oder Borneo oder eine jener zahllosen Inseln im Pazifik, die keineswegs vergessen sind, wie wir wissen, sondern in stummer Wut unter Hunger, Umweltkatastrophen und Atomtests leiden. Ich habe vorhin die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn erwähnt, und wenn es überhaupt irgendwo auf der Welt ein wahrhaft vergessenes Reich gibt, dann ist es dieses Konglomerat - natürlich abgesehen von den ständigen Wiederholungen der Sissy-Filme im Fernsehen. Franz Joseph wurde Bayer, und Franz Ferdinand war alles andere als der Schutzheilige der Olympischen Winterspiele von Sarajewo. Immerhin war es den Ungarn zu verdanken, die den Stacheldrahtzaun an der Grenze nach Österreich durchschnitten hatten, und den Österreichern, die die Ostdeutschen auch ohne Visum einreisen ließen, daß die Außerirdischen überhaupt die Möglichkeit hatten, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Alle diese Länder, die heute in den Nachrichtensendungen auftauchen - Ungarn, die Tschechoslowakei, Rumänien -, waren früher nämlich Teil des österreich-ungarischen Reiches und bildeten das sogenannte Balkanproblem. Ich habe auch Jugoslawien nicht vergessen. Das könnte ich auch gar nicht, denn ich habe Verwandte dort. Mein Onkel Joschko hatte eine Fabrik in Ljubljana, bevor er schließlich sozialisiert wurde. Das Bemerkenswerte an diesem Balkanproblem war jedenfalls, daß niemand jemals daran glaubte, es könnte je gelöst werden - abgesehen vielleicht von Kronprinz Rudolf von Mayerling, ehe auch er dahinschied. Es ist nun einmal so, daß ein Teil der Welt, der traditionell ein ungelöstes und unlösbares Problem darstellt, keine besondere Aufmerksamkeit genießt. Es ist nicht so wie „Paris niest und ganz Frankreich ist verschnupft“ oder „Wie der Staat Maine wählt, so wählt die ganze Nation“. Die meisten Menschen wollen jedenfalls am liebsten gar nichts darüber hören. Für die Außerirdischen jedoch waren diese Überreste des einstigen österreich -ungarischen Großreichs der ideale Ort für ihre erste Landung auf der Erde. Nicht nur, daß die jeweiligen Regierungen eine ganze Weile brauchten, bis sie merkten, daß es um mehr ging als einen leichten Anstieg der Zahl von Asylsuchenden - selbst die beiden Großen, Gorbi und Bush, sahen keinen Anlaß, ihre Aufmerksamkeit von jeweils wichtigeren Dingen abzulenken, mit denen sie gerade beschäftigt waren. Gorbatschow war wahrscheinlich ziemlich erleichtert, daß er die Feierlichkeiten zum vierzigsten Jahrestag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands überstanden hatte, ohne daß das schlechte Image dieser Partei auf ihn abgefärbt hatte, und Bush scheint im Hinblick auf eine Invasion Europas auch nicht anders zu denken als die meisten anderen amerikanischen Präsidenten in den letzten fünfzig Jahren, und wenn er überhaupt einen Gedanken daran verschwendet, dann nur widerstrebend. Kurze Zeit darauf beschloß er jedenfalls die Invasion Panamas und verschloß ganz einfach die Augen vor der gesamten politischen Situation in Europa - und erzählen sie mir bloß nicht, daß die Außerirdischen das nicht auch längst berücksichtigt hatten. Ich meine, um wirklich erfolgreich zu sein, mußten sie einfach alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, und im Hinblick auf eine effektive Landung war es durchaus angebracht, dafür zu sorgen, daß die Amerikaner abgelenkt wurden.

Und wenn die Bruchstücke des alten, in Vergessenheit geratenen Reiches der Habsburger vom räumlichen Standpunkt aus ein ideales Sprungbrett in unser Universum waren, so war auch der politische Rahmen geradezu ideal. So seltsam es auch erscheinen mag für jemanden, der aus seinen Kindertagen nur ein Europa kennt, das im wörtlichen Sinne in Flammen stand - so wie ich es als kleines Kind und später als junger Luftschutzwart in der relativen Sicherheit Englands miterlebte, unserer neuen ruhmreichen Heimat, zumindest für Flüchtlinge unter sechzehn Jahren, nicht jedoch für meinen Vater, der sich im Exil umbrachte. Für jemanden mit solchen Erinnerungen ist es, wie gesagt, manchmal nicht einfach, sich vorzustellen, wie ruhig es in Mitteleuropa einmal war.

Lateinamerika ist übersät mit Diktaturen, China ermordet seine eigene Jugend, ähnlich wie Afrika, entweder gewaltsam oder durch den Hunger, während auf hoher See die Seehundbabies, die toten Wale und die ölverpestete Fauna bereits Legende sind. Die Stasi-Polizisten in Mitteleuropa sind beileibe keine Dummköpfe und Tölpel, waren aber zum Zeitpunkt der Landung schachmatt gesetzt. Schön, wenn es so bliebe.

Angesichts der aussichtslosen Situation auf dem alten Balkan und in den von Armut gelähmten Bürokratien in Mitteleuropa kam absolut niemand auf den Gedanken, daß es die Menschen, nicht die Regierungen sein würden, welche den Boden für eine Lösung bereiten könnten. Und gerade weil niemand sich das vorstellen konnte, war der Weg frei für die Außerirdischen, die sehr wohl diese Möglichkeit in Erwägung gezogen, daran gedacht hatten. Und weil sie damit gerechnet hatten, konnten sie die Sache auch erfolgreich durchziehen, und so kam es zu dieser friedlichen Landung aus dem Weltall. Ich nenne es die siebte Welle. Die anderen sechs sind eine andere Geschichte. Was mich betrifft, so ist mein australisches Visum abgelaufen, und man verweigert mir die erneute Einreise. Wenn mir nicht bald etwas anderes einfällt, werde ich diesen Bericht in eine leere Flasche stecken und in den Bodensee werfen, damit die Außerirdischen ihn finden. Vielleicht werden sie einen Shuttledienst mit ihrer Heimat einrichten, wo immer die auch sein mag, wenn sie erst einmal zu der Einschätzung kommen, daß es ungefährlich ist, aus dem Versteck zu kommen. Wenn es soweit ist, möchte ich jedenfalls mit von der Partie sein.

Anmerkungen:

Max, Sohn eines jüdischen Arztes, mußte mit seiner Familie aus Österreich fliehen. L'Aiglon, Napoleons Sohn und Erbe, floh streng genommen nie aus Wien, aber „ein Österreicher im Exil“ klingt, wahrscheinlich dank der französisch -österreichischen Verbindungen in Napoleons Familie, irgendwie romantisch. Das war wohl auch der Grund dafür, daß ein homosexueller französischer Baron Max, ohne ihn zu kennen, Asyl in seinem kleinen Schloß auf Korsika anbot, als Max nach der Revolte vom Mai 1968 aus Frankreich ausgewiesen wurde. Als der Baron allerdings merkte, wie wenig Max mit L'Aiglon gemein hatte, setzte er ihn bald wieder vor die Tür.

Horace Greeley war ein berühmter amerikanischer Journalist und Verleger. Er begründete die Zeitung 'The Tribune‘ und kandidierte erfolglos gegen General Ulysses S. Grant für die amerikanische Präsidentschaft.

Übersetzung aus dem Englischen: Hans Harbort

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