Hoffen auf die Demokratisierung

■ Nach den blutigen Polizeieinsätzen im Kosovo wollen serbische Nationalisten jetzt 600.000 Kolonisten in die Provinz schicken Tausende von Kosovo-Albanern sind verhaftet worden / Ihre politische und kulturelle Unterdrückung hat sich seit 1987 verschärft

Erich Rathfelder

Langsam schiebt sich ein gepanzerter Geländewagen in Richtung Dorfplatz und bleibt an einer Kreuzung stehen. Die Bewohner kümmern sich kaum um das Gefährt. An Besuche dieser Art sind sie seit Jahren gewohnt, dennoch verschwinden einige Leute schnell hinter den Mauern ihrer Anwesen. Vor dem schäbigen Dorfladen steht eine Gruppe Jugendlicher und beobachtet das Schauspiel. Ein älterer Mann tritt aus einem Hauseingang, mehrere mit Taschen bepackte Frauen kommen aus einer Seitenstraße ins Blickfeld der Polizisten.

Plötzlich zerreißen Schüsse die Stille des Nachmittags. Schreie des Entsetzens mischen sich mit dem Maschinengewehrfeuer. Einige der Jugendlichen liegen am Boden, Blut sickert in den Sand. Der alte Mann ist mitten auf die Straße gefallen, er ist, wie sich später herausstellt, sofort tot. Die Frauen, die zunächst in die Seitengasse fliehen konnten, versuchen einige der Verwundeten in einen Hauseingang zu ziehen. Doch der Motor des gepanzerten Wagens heult auf. In schneller Fahrt erreicht er die Gruppe. Einige Polizisten springen heraus und schießen einem verwundeten Jugendlichen in den Kopf und schlagen den Bruder des tödlich Verletzten nieder, bevor sie sich wieder auf den Wagen setzen und in langsamer Fahrt aus dem Dorf rollen.

So oder so ähnlich hat sich nach Augenzeugenberichten der Überfall einer Polizeieinheit in Stanovc am 30. Januar 1990 zugetragen. Im Polizeibericht sollte später vom Kampf gegen eine Gruppe „nationalistischer Terroristen“ die Rede sein, „Separatisten“ und „Feinden des Staates“, die den Konvoi der Sicherheitskräfte angegriffen hätten. Die Bilanz des Polizeieinsatzes wurde verschwiegen: zwei Tote, zehn Schwerverletzte. * * *

40.000 Menschen machen sich auf den Weg zum Friedhof von Podujevo. In der kleinen Stadt, kaum 25Kilometer von Pristina entfernt, bleibt trotz dieser Menschenmenge alles ruhig. An den Panzern schreiten sie vorbei, die rechte Hand zum „Victory„-Zeichen erhoben, kein Laut kommt über ihre Lippen. Als die nach moslemischem Brauch in ein weißes Tuch gehüllte Leiche in das Grab gelegt wird, bittet die Schwester des ermordeten Fadil Talla nochmals, keine Demonstration abzuhalten. Die Menschenmenge geht ruhig auseinander.

Hinter der Moschee setzen wir uns mit einigen alten Männern zusammen. „Was sie sagen, daß wir Terroristen seien, ist eine Lüge. Natürlich behaupte ich nicht, daß wir keine Waffen hätten. Ein paar Waffen haben wir schon, und wenn wir wollten, könnten wir auch töten. Den Krieg wollen die anderen. Wir befahlen unseren Jungen, nicht zu schießen. Kein Serbe darf getötet werden, kein Polizist, kein Soldat. Wir wissen, was sie wollen, wenn sie auf uns schießen. Sie wollen, daß wir zu den Waffen greifen, um uns dann niederzumetzeln. Aber wir demonstrieren nur, mit zwei Fingern, wir fordern 'Demokratie und Freiheit‘, so wie die Tschechen und die Deutschen es gemacht haben. Ganz friedlich.“ * * *

Wir sitzen in einem Cafe unterhalb des Hauptgebäudes der Universität von Pristina, dessen futuristische Architektur das Zentrum der Hauptstadt des Kosovo prägt. In den siebziger Jahren erbaut, sollte die Universität der zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Region die Gleichstellung der Albaner mit allen anderen Völkern in Jugoslawien symbolisieren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Wir sitzen mit einigen Vertretern des Menschenrechtskomitees von Kosovo zusammen und mit Jsup Bexhisha, dem Vorsitzenden der „Soziologischen und Philosophischen Gesellschaft des Kosovo“. Er ist ein 34jähriger, kantiger Mann, der die Verbrechen, die im Kosovo geschehen, seit einigen Jahren immer unerschrockener an die Öffentlichkeit bringt.

Ich wundere mich über die offene Atmosphäre in diesem Cafe: Ungezwungene politische Debatten an einem öffentlichen Ort, obwohl die Schüsse in den umliegenden Dörfern noch nicht verhallt sind, obwohl es in der Stadt von Uniformierten nur so wimmelt und die obligatorischen Lauscher an den Nebentischen bereits Platz genommen haben.

„Machen Sie sich darüber keine Sorgen, wir haben nichts mehr zu verlieren.“ Und sie erzählen von den Begebenheiten in den Dörfern, von den Augenzeugen, die nun langsam zu ihnen in die Stadt zu kommen wagen, von der dokumentatorischen Arbeit. Sie erzählen von Brestovic, wo am 27. Januar die Polizeieinheit des benachbarten größeren Dorfes Drahovic ohne Vorwarnung in eine Dorfversammlung schoß, aus der heraus „Demokratie“ gerufen wurde, von den vier Toten dort. Oder von Malishevo, wo unter ähnlichen Umständen drei Personen ermordet wurden, von Gllogovc, wo am 31. Januar zwei Personen getötet wurden, von Kacanik, wo am 2. Februar ein 10jähriger Junge vor dem Hause seiner Eltern von hinten erschossen wurde.

Als wir die Zahlen der Toten schätzen wollen ergibt sich eine Diskussion. Einer sagt, er rechne mit mehreren hundert Toten. Bisher sind erst 42 Opfer dokumentiert.

„Hier in der Stadt ist die Repression heute nach außen hin weniger sichtbar, doch sie ist allgegenwärtig und greift in unsere kulturelle Autonomie ein. Nicht nur, daß die albanischen Intellektuellen mit Berufsverboten belegt werden, daß sie aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen werden. Diese kulturelle Unterdrückung hat zum Ziel, die Albaner zu Menschen zweiter Klasse zu degradieren“, erklärt Isup Bexhisha. Lehrer seien bevorzugte Objekte polizeilicher Maßnahmen.

Verhaftungen würden aber auch wahllos vorgenommen, 6.000 Menschen säßen zur Zeit eine 60tägige Haft ab, weil dazu kein Gerichtsverfahren nötig ist. Mehr als 2.000 Kosovo -Albaner seien zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt, darunter viele Bergarbeiter aus der Streikbewegung des letzten Jahres. Viele von ihnen würden gefoltert.

Rahman Morina, der ehemalige Innenminister der Provinz, jetzt Parteichef der von „Terroristen“ und „Irredentisten“ gesäuberten Partei, habe kürzlich von 500.000 Albanern gesprochen, die seiner Meinung nach in den letzten Jahren durch die Hände der Polizei gegangen seien. Bexhisha wiegt den Kopf. „Vielleicht werden wir gleich verhaftet, oder morgen, vielleicht auch gar nicht. Doch wir haben die Angst verloren, wir setzen auf die Demokratisierung, die einfach kommen muß. Wir setzen darauf, daß die serbische Politik in Jugoslawien isoliert wird.“ * * *

Ein seltsamer Glanz liegt über Pristina. Die etwa 100.000 Einwohner zählende Stadt liegt 1.200 Meter über dem Meeresspiegel, der Himmel ist auch in diesen frühen Februartagen leuchtend blau. In den Straßen und Geschäften der Innenstadt geht alles seinen gewohnten Gang. Viele albanische Männer tragen die typischen Filzkappen, als ob sie gerade jetzt ihrer Volkszugehörigkeit verstärkt Ausdruck verleihen wollten.

Die Polizeieinheiten haben sich in die Seitenstraßen zurückgezogen und warten dort gelangweilt auf neue Befehle. Nahe dem Fußballstadion, dort, wo ungeteerte Straßen bergauf in eine der Vorstädte führen, die lateinamerikanischen Slums gleichen, ist die Baracke gelegen, in der die größte Oppositionspartei, der „Demokratische Bund Kosovos“, ein vorläufiges Domizil gefunden hat. Auch hier herrscht mehr Hoffnung als Pessimismus.

Über 300.000 Mitglieder will die neue Organisation schon gefunden haben und täglich „kommen zehntausend dazu“, sagt Ibrahim Rugova, der Vorsitzende der neuen Partei, nicht ohne Stolz. „Wir kämpfen für die Demokratisierung. Bei uns können alle eintreten, ob Albaner, Serben oder Roma. Wir sind nicht nationalistisch, sondern demokratisch orientiert.“ Jugoslawien könne gar nicht anders, als endlich den Weg zur Demokratisierung einzuschlagen. Auch die Bundesregierung unter Ante Marcovic habe dies jetzt wohl eingesehen. Wenn dessen Politik nun auf die Europäische Gemeinschaft ausgerichtet sei, dann bliebe schließlich gar keine andere Wahl.

Im Haus der Presse, einem der modernen Hochhäuser im Stadtzentrum, treffe ich die Organisatoren anderer demokratischer Initiativen. Auch sie sind optimistisch. Veton Surroi, der Vorsitzende der „Vereinigung für die Jugoslawische Demokratische Initiative“, einer Intellektuellenorganisation, die seit einem Jahr besteht und inzwischen in allen Republiken Jugoslawiens aktiv ist, setzt auf die neue Entwicklung. In seiner Organisation, die keine Partei sein will, sondern lediglich Einfluß auf die Diskussion der Verfassung des Bundes und der Republiken zu nehmen versucht und sich ausdrücklich gegen nationalistische Tendenzen wendet, werde jetzt schon an Zukunftsentwürfen gebastelt.

Doch zugleich gibt er sich keinen Illusionen hin. Selbst die Verwaltungsstrukturen im Kosovo seien zerschlagen - bis in die Gemeinden hinein. Die Kommunistische Partei sei nur noch eine Kolonialbehörde. Mit dem Einmarsch der Armee wäre die Hoffnung aufgekommen, die Macht der serbischen Polizei werde zurückgedrängt. Doch das sei noch nicht geschehen. Erst wenn die serbische Polizei abrücke, könnten überhaupt wieder Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden. „Wir brauchen die Anwesenheit von neutralen Bundesinstitutionen, die bereit sind, mit uns einen Dialog anzufangen.“ Jetzt müßte ein Runder Tisch geschaffen werden, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sind. Noch zögere die Bundesregierung, konkrete Vorschlage für die friedliche Lösung der Konflikte überhaupt zu diskutieren. * * *

Qualm dringt durch die Türritzen, beißender Qualm. In dem mehr als zwanzig Stockwerke hohen Gebäude des Grand Hotels von Pristina könnte ein Brand fatale Folgen haben. Doch der Geruch des Qualms und die Wirkung auf die Augen lassen auf eine Tränengasbombe schließen. Mit einem nassen Handtuch gelingt es mir und anderen Gästen - es handelt sich vor allem um Journalisten - in die unteren Stockwerke zu fliehen. Offensichtlich, so stellt sich schnell heraus, haben Polizisten die Tränengasbombe im Hotel hochgehen lassen.

Die internationale Presse ist in ihrer Berichterstattung umgeschwenkt. Nachdem noch vor zwei Jahren aus Belgrad und damit eher aus serbischer Perspektive berichtet wurde, haben sich viele in der Hauptstadt ansässige KorrespondentInnen mittlerweile mit der Situation im Kosovo unmittelbar vertraut gemacht. Jetzt wird direkt vom Ort des Geschehens berichtet. Ein Umstand, der dem Anliegen der Albaner zugute kommt. Noch vor zwei Jahren konnte ein Gespräch mit ausländischen JournalistInnen für oppositionelle Albaner die Verhaftung nach sich ziehen. Jedes Treffen erforderte komplizierte Vorsichtsmaßnahmen. Jetzt ist die Angst geschwunden. Selbst in den umliegenden Dörfern ist man im Gegensatz zu früher bereit, mit Journalisten zu sprechen. Ist die Tränengasbombe im Hotel eine Warnung an die Journalisten? Die kroatischen und slowenischen Kollegen gehen davon aus und berichten am nächsten Tag auf Seite 1 über den „Anschlag“. * * *

Wir warten unten in der Eingangshalle, bis sich der Qualm verzogen hat. Zwischen den herumstehenden jugoslawischen und ausländischen Journalisten kommt es zu einem Gespräch über die politische Entwicklung. Wir fragen uns, wie es zu der heutigen Situation kommen konnte - in einem Land, in dem ein Befreiungskrieg gegen die Deutschen und ein Bürgerkrieg gegen die nationalistischen und faschistischen Kräfte in den eigenen Reihen geführt wurde und in dem dann die Kommunisten angetreten sind, um die „nationale Frage zu überwinden“.

Es fällt schwer eine Antwort auf diese Frage zu finden. Vielleicht war der „Friede“ in den fünfziger und sechziger Jahren doch nur der überragenden Figur des Staatsgründers Tito zu verdanken, diesem

Oberschiedsrichter, der alle Konflikte mit der Macht des Diktators zu lösen versuchte, und weniger dem Bewußtsein der Menschen oder gar der Verfassung.

Dieses ausgeklügelte Regelwerk des politischen Kompromisses, in dem die Rechte der einzelnen Republiken und die des Bundesstaates festgelegt sind, konnte nach Titos Tod dem Druck der widerstreitenden Interessen nicht mehr standhalten, gibt einer zu bedenken. Das komplizierte Proporz-System, nach dem die obersten Staatsfunktionäre des Bundes rotieren, habe nur so lange mehr schlecht als recht funktioniert, wie der „Bund der Kommunisten“ in diesem Einparteiensystem noch für die Mehrheit der Bevölkerung sprechen konnte.

* * *

ine andere Kollegin erinnert daran, daß schon in den fünfziger Jahren die Albaner unterdrückt wurden: Weder bekamen sie nach dem Krieg eine eigene Republik, noch eine entsprechende Repräsentanz im Bundesstaat. Unvergessen sei das Wüten des ehemaligen Innenministers Rankovic, der Zehntausende in die Emigration trieb und Tausende von Albanern ermorden ließ. Immerhin, in den siebziger Jahren durften auch die Albaner sich Hoffnungen machen: Die Autonomierechte der Region Kosovo wurden 1974 ausgeweitet. Und so blieb es auch nach den blutig unterdrückten Demonstrationen von 1981, als die Albaner für dieses Gebiet den Status einer Republik forderten. * * *

Der Kernpunkt der serbischen Politik besteht darin, die Autonomierechte der Albaner wieder einzuschränken. Eine ungeheure Propagandamaschinerie wurde seit 1987 in Gang gesetzt. Wer in Serbien Radio hört, findet kein anderes Thema: Kosovo, Kosovo, Kosovo. Die serbischen Berichterstatter, von denen übrigens niemand an unserer Diskussion teilnahm, berauschen sich an dem „Wüten der albanischen Seperatisten“, berichten über „Terroristen“, über „Anschläge gegen Serben und Montenegriner“ und fordern unverhohlen Rache. Tausende von Studenten skandierten erst kürzlich in Belgrad: „Wir wollen Waffen“, um gegen den eingebildeten Feind in Pristina loszuziehen.

Selbst in den Städten in der Nähe des Kosovo, in Nis zum Beispiel, wo es die Leute eigentlich besser wissen müßten, finden von oben gelenkte Massenveranstaltungen statt, auf denen „Rache“ gefordert wird; so erst am 1. Februar. Für die serbischen Nationalisten und die orthodoxen Christen des Landes ist Kosovo eine „heilige“, historische Erde, das Kernland Serbiens die Heimstatt des serbischen Volkes. Darf denn dieses Land den muslimischen Albanern überlassen bleiben? In den Augen der serbischen Nationalisten haben die um sich schießenden Polizisten „gerecht“ gehandelt.

Unter dem Schutz des serbischen Parteichefs Slobodan Milosevic und moralischer und politischer Rückenstärkung der Kirche wurden seit 1987 „Rückeroberungspläne“ geschmiedet und zum Teil auch schon durchgeführt: Zuerst wurde eine Atmosphäre geschaffen, die die Ziele der nationalistischen Ultras als „gerecht“ erscheinen ließ. Serbische Frauen unter Anleitung ihrer Männer, versteht sich - demonstrierten massenhaft gegen angebliche Vergewaltigungen durch albanische Männer in Kosovo Polje. Unterbelichtete Fotos bewiesen die Schändung von serbischen Gräbern durch albanische Jugendliche.

In Serbien ist niemand an einer ernsthaften Analyse der Gründe interessiert, die zur Abwanderung der besser ausgebildeten und - angesichts der fünfzigprozentigen Arbeitslosigkeit der albanischen Bevölkerung privilegierten Serben der Region in die Industriezentren des Landes führt. Statt dessen wurden Pressekampagnen gestartet, in denen „bewiesen“ wurde, daß serbische Familien von ihren albanischen Nachbarn „aus den Dörfern gejagt würden“.

Die zweite Stufe der Kampagne setzte im Frühjahr 1988 ein: Massenversammlungen und Demonstrationen sollten die serbische Bevölkerung auf einen Marsch nach Pristina einstimmen und die Bewohner der anderen Republiken in Jugoslawien, vor allem aber die Instanzen der Bundesregierung von der Notwendigkeit einer Verfassungsreform in Serbien überzeugen. Auf dem Höhepunkt der Kampagne wurden dann auch tatsächlich Gesetzesänderungen in der Republik Serbien durchgesetzt, die Ende Februar 1989 zu einer dramatischen Reduktion der Autonomierechte im Kosovo führten. Polizei und Partei, die Universität und die staatliche Verwaltung wurde von Albanern gesäubert und wieder unter serbische Kuratel genommen. * * *

Schwerbewaffnete Polizeieinheiten haben das Gebäude umstellt. Panzerfahrzeuge sind in den angrenzenden Straßen postiert. Peinlich genau werden diejenigen durchsucht, die dem Prozeß gegen den ehemaligen Parteichef von Kosovo, Azem Vllasi, und 14 kosovo-albanischen Kommunisten beiwohnen wollen. Dieses Ritual und der martialische militärische Aufmarsch sollen die Bedeutung dieses größten politischen Prozesses in Jugoslawien unterstreichen.

Schon jetzt ist er eine tragische Gestalt: Als er in den kleinen, kaum 50 Zuschauer fassenden Gerichtssaal in Titova Mitrovica, nicht weit von Pristina, geführt wird, umspielt ein leicht spöttisches Lächeln seinen Mund. Azem Vllasi, der ehemalige Parteichef von Kosovo, will vielleicht so die Absurdität der Anklage demonstrieren, ist er doch nach Meinung der Staatsanwälte „der Konterrevolution“ überführt ein Vorwurf, der nach der Revolution in Rumänien und den Reformen in Bulgarien auch hier im Süden Jugoslawiens nur noch lächerlich wirkt.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, albanische Arbeiter „aufzuwiegeln“. Das Gegenteil ist der Fall: Azem Vllasi war im Februar 1989 in die Gruben von Stari Trg eingefahren, um die dort versammelten Bergarbeiter zur Aufgabe ihres Hungerstreiks zu überreden. Damals wollten dort mehr als 400 Arbeiter aus Protest gegen die Verfassungsänderungen im Kosovo bis zum Tode hungern. Vllasi wiegelte damals ab. Sein „Verbrechen“ war es, nach einigem Zögern der nationalistischen Kampagne in Serbien entgegengetreten zu sein.

Er, der in den Augen vieler Albaner selbst kompromittiert war, der zu lange die von den Albanern „jugoslawisch“ genannte Politik im Kosovo durchsetzen half, darf jetzt aber auf die Solidarität der Albaner rechnen. In dem „Aufruf gegen die Gewalt“, der schon von über 300.000 Menschen im Kosovo unterzeichnet wurde, wird ausdrücklich die Beendigung aller politischen Prozesse gefordert. Dieser politische Prozeß, diese Farce, wird nach Ansicht vieler nicht mehr lange dauern.

Vllasi bereitet schon seine Rückkehr ins politische Leben vor. Schon werden in Pristina seine Pläne diskutiert, mit dem Reformflügel der Kommunistischen Partei eine Sozialdemkratische Partei Kosovos aufzubauen. (Siehe dazu Interview mit Skelzen Maliqui.) Die jetzige Parteiführung dagegen hat völlig verspielt. Ihr Führer Rahman Morina gilt nur noch als Erfüllungsgehilfe serbischer Politik, als ein Quisling erster Ordnung. * * *

Der Weg führt hinauf zu den Hügeln, wo die neuen Wohnblocks stehen. Schon aus einiger Entfernung kann man die laute patriotische Musik hören, die aus den offenen Fenstern seiner Wohnung dringt: Bogdan Kecman, der „Führer der Serben Kosovos“, empfängt uns mit Handschlag. Schnell kommt er zur Sache. „Die Albaner haben dieses Land unrechtmäßig an sich gerissen. Wir müssen 400.000 Albaner aus dem Kosovo entfernen. Sollen sie doch nach Slowenien und Kroatien gehen, wo sie so beliebt sind.“ Den Serben bleibe jetzt keine andere Alternative, als hart durchzugreifen. „Wir wollen 600.000 Serben hier im Kosovo neu ansiedeln. Wenn das nicht geschieht, geht Kosovo für Serbien verloren.“

Die Worte des Fanatikers sind ernst gemeint. Die neue Kampagne ist schon angelaufen. Slobodan Milosevic selbst segnete die Idee in Belgrad ab. Versucht er mit der Zuspitzung des Konflikts die Demokratisierung und damit freie Wahlen im Kosovo zu unterlaufen?

Zwar werden schon Anfang April Wahlen für die Parlamente der Republiken Slowenien und Kroatien durchgeführt, Milosevic hat aber mit den auf November 1989 vorgezogenen und unter dem alten System durchgeführten Wahlen in Serbien erst einmal Zeit gewonnen. Und die Bundesregierung machte die Zusage, 2.000 Wohnungen und 5.000 Häuser für die serbischen Kolonisten“ zu finanzieren.

Zum jugoslawischen Nationalitätenkonflikt siehe auch morgen das Interview mit der kroatischen Feministin Slavenka Drakulic auf Seite 12.