: Kumpel fahren wieder ein in Virginias Kohlegruben
■ 11monatiger Streik beendet / Grundsatzstreit über Unternehmerbeiträge an gewerkschaftliche Kranken- und Rentenkassen / Arbeitskampf hatte Bedeutung weit über die direkt Betroffenen hinaus / Rückzieher des Unternehmens / Im Gegenzug größere Flexibilität der Geschäftsführung bei der Schichtarbeit
Washington (wps/taz) - Einer der längsten Arbeitskämpfe in den USA ist beigelegt. Die Bergarbeitergewerkschaft United Mine Workers (UMW) erklärte am Dienstag, daß sie einen neue Vereinbarung mit der Minengesellschaft Pittston Co. unterzeichnet habe. Damit ist ein besonders hart geführter Streik (über den die taz wiederholt berichtete) beendet, der weit über die direkt Beteiligten hinaus das Kohlerevier in Virginia für nahezu elf Monate einerseits gelähmt, andererseits in große Unruhe versetzt hat. 63 Prozent von 1.981 abstimmenden Mitgliedern plädierten in Virginia, West -Virginia und Kentucky schließlich für die Annahme des Abkommens mit vierjähriger Laufzeit. Den Beschäftigten wird darin die fast 100prozentige Kostenübernahme ihrer medizinischen Versorgung garantiert, eines der Hauptanliegen im Arbeitskampf. Dem Unternehmen wird im Gegenzug größere Flexibilität in seinen Produktionsplänen zugestanden.
„Schöner Tag“
„Es ist für alle eine schöner Tag“, meinte US -Arbeitsministerin Elizabeth Hanford Dole, deren Intervention von beiden Parteien als maßgeblich für das Ende des Streiks angesehen wird. Dole hatte den früheren Arbeitsminister W.J. Usery als Vermittler beauftragt. Die Minenarbeiter, die seit dem 5. April vergangenen Jahres im Ausstand waren, werden nächste Woche die Arbeit wiederaufnehmen. Kurz nach der Einigung am Dienstag räumten die Streikposten ihre Stellungen und forderten über alle lokalen Radiostationen auf, sich auf die Rückkehr zur Arbeit vorzubereiten.
Pittston-Präsident Michael Odom bezeichnete den Vertrag als „bahnbrechend“ für die USA, und UMW-Vizepräsident Cecil Roberts erklärte, daß er sich mit „95 Prozent des Ergebnisses anfreunden“ könne. Und Virginias Gouverneur freute sich: „Jetzt kann endlich der dringende Prozeß der Wiederannäherung zwischen Nachbarn und Verwandten eingeleitet werden.“
Keine Frage, der Arbeitskampf betraf mehr als nur die 1.700 aktiv Streikenden und das Unternehmen. Massenblockaden, 3.700 Verhaftungen, breite Unterstützung durch andere Gewerkschaften und religiöse Gruppen, zwischenzeitliche Solidaritätsstreiks von 44.000 Grubenarbeitern - ein Drittel der gesamten Grubenbelegschaften der USA -, Geldstrafen für die Gewerkschaft in Höhe von 63 Millionen Dollar, weit höhere Verluste von Pittstone und gehörige Steuerausfälle für die betroffenen Gemeinden - all das charakterisierte die Lage in Virginia.
Die organisierte Arbeiterschaft, die in der Vergangenheit in den USA viele Niederlagen einstecken mußte, bestimmte das Geschehen in den Minen des Landes und machte es damit zu einem Fall für viele Gewerkschaften. Der Chef des gewerkschaftlichen Dachverbandes AFL-CIO, Lane Kirkland, wurde zum ersten Mal anläßlich von Streikaktivitäten verhaftet, wegen der Teilnahme an der Blockade eines Gerichtsgebäudes.
Familien entzweit
Über die ökonomischen Verluste hinaus war die Region vielfach von Familienstreit und anderweitigen örtlichen Feindseligkeiten betroffen, die sich entlang der Streikfront entwickelten. Gewalttätigkeiten forderten insgesamt 71 Verletzte.
Hintergrund des Streiks war der Ausstieg des Pittston -Konzerns aus den nationalen Tarifverhandlungen. Daraufhin waren die Kumpel 14 Monate lang ohne Tarifvertrag, was zur Folge hatte, daß das Unternehmen auch die Zahlungen an die gewerkschaftlichen Renten- und Krankenversicherungen einstellte. Darin sah die Gewerkschaft eine Unterhöhlung ihrer fünfzig Jahre lang erkämpften Rechte auf diese Beiträge, während die Geschäftsleitung durch die finanzielle Belastung den Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit an die Wand malte. Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO wurde deshalb hellhörig, weil derzeit auch andere Industriezweige des Landes ähnliche Ambitionen hegen.
Die neue Vereinbarung sieht nun vor, daß das Unternehmen 1.000 Dollar an jeden Beschäftigten pro Jahr zahlt, der dann seinerseits die Gelder in die Gewerkschaftlichen Versicherungen überweist - oder es bleibenlassen kann. Auch weiterhin werden Pittston-Gelder in die Gewerkschaftlichen Versicherungen fließen, wenn auch weit geringer als bisher. Darüber hinaus gestand das Unternehmen den Beschäftigten eine stärkere arbeitsrechtliche Stellung in den gewerkschaftsfreien Pittston-Tochterunternehmen zu.
Pittston kann dafür nunmehr zum ersten Mal Sonntagsschichten fahren, sieben Tage in Wechselschicht durcharbeiten lassen oder auch wechselweise zu vier Zehnstundenschichten bitten, um so besser auf die unsichere internationale Kohlenachfrage reagieren zu können.
Inwieweit nach dem Arbeitskampf und seinem Ergebnis die Zukunft der gewerkschaftlichen Kranken- und Rentenversicherungen im Lande gesichert ist, soll nun eine Kommission klären, die Arbeitsministerin Dole jetzt eigens eingesetzt hat.
Trotz der gewalttätigen Konfrontationen, die streckenweise an die Militanz der 30er Jahre erinnerten, nahmen die US -Medien von dem Arbeitskampf kaum Notiz. Mitglieder der amerikanischen Arbeiterklasse, so faßte die Soziologin Barbara Ehrenreich diese Ignoranz zusammen, kämen im US -Fernsehen auch weiterhin nur als Opfer von Verbrechen oder als Teilnehmer von Quizsendungen, nicht aber in der Politikberichterstattung oder gar als streikende Subjekte vor.
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