: Nato-Länder sauer auf Sechserpack
■ Westeuropäische Nato-Länder wollen an Gesprächen über deutsche Einheit beteiligt werden - Holland prescht vor / Nato-Botschafter in Brüssel rätseln über die Zukunft des Paktes: Auf wen sollen wir Atomraketen richten?
Brüssel (afp) - Die europäischen Nato-Staaten drängen auf eine gemeinsame Debatte zu den Auswirkungen einer Vereinigung beider deutscher Staaten auf das westliche Militärbündnis. Besonders unzufrieden ist der niederländische Außenminister Hans van den Broek: Er erklärte in Den Haag, die sogenannten Sechser-Verhandlungen zur deutschen Einheit seien „unzureichend“. Alle Aspekte, die die Nato betreffen, sollten zunächst innerhalb des Paktes detailliert besprochen werden, forderte van den Broek. Erst dann könnten gegenüber der DDR und der Sowjetunion „Zusagen gemacht werden“. Er steht mit seiner Haltung nicht allein. Auch die Diplomaten anderer Nato -Mitglieder haben jetzt deutlich gemacht, daß sie mit der bisherigen Reaktion auf die deutschen Einheitspläne nicht einverstanden sind. Nato-Generalsekretär Manfred Wörner ist bislang nur zu informellen Gesprächen mit den Botschaftern der 16 Nato-Staaten in Brüssel zusammengetroffen.
Grundsätzliche Einigkeit herrscht über die Vorschläge von Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Die DDR soll danach in einem vereinigten Deutschland in das westliche Verteidigungsbündnis übernommen werden, auf die Stationierung westlicher Truppen auf DDR-Gebiet wird aber verzichtet. Damit sollen vor allem Bedenken Moskaus zerstreut werden. Dort wird befürchtet, daß die Nato die Veränderungen im Warschauer Pakt benutzt, um ihren Einflußbereich auszubauen. Auch wenn sich prinzipiell alle europäischen Nato-Partner einig sind: Der Genscher-Plan „wirft mehr Fragen auf als daß er Antworten bringt“, erklärte ein westlicher Diplomat in Brüssel. So sei noch nicht geklärt, welchen Rang ein wiedervereinigtes Deutschland in der Nato haben könnte. Vor allem aber müsse geklärt werden, was aus dem westlichen Bündnis in Zukunft wird. So seien die beiden Eckpfeiler der Nato -Militärstrategie, die Vorneverteidigung direkt an der Grenze zwischen Ost und West sowie die Strategie der „Flexiblen Antwort“ bei einer Vereinigung „immer weniger glaubwürdig“. Wenn die DDR tatsächlich zur entmilitarisierten Zone werde, dann sei nicht klar, wo eine sofortige Gegenoffensive beginnen könne, so der Diplomat. Auch wer von den dann eingesetzten Atomwaffen überhaupt getroffen werden sollte, wisse er nicht.
Die Nato-Partner hätten große Schwierigkeiten festzustellen, wieviel Militär sie in Zukunft noch brauchen, gestand ein anderer Diplomat in Brüssel ein. Selbst wenn Deutschland die Oder-Neiße-Grenze anerkennt und endgültig auf den Einsatz von Atomwaffen verzichtet: „Nichts garantiert, daß die Allianz weiter eine wichtige Rolle spielt und noch eine Aufgabe hat“, so der Diplomat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen