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Scheiß Frühling, wo ist der Winter?

■ Die taz schreibt mal wieder was Negatives zu einem schönen Thema / Frühling läßt sein ...

Verdammt: Gerade hab‘ ich die Nadeln meiner kontrolliert ökologisch abgeholzten Blautanne mühselig vom Boden aufgesammelt, da fängt mein Hund an zu haaren, meine Kanari verliert Federn und mein Hausbär beendet seinen Winterschlaf. Aus den Bodendielen der Küche sprießen die ersten Krokusse, und wenn mich nicht alles täuscht, ist Helene gestern verfrüht zurückgekehrt. Helene ist eine kleine, italienische Hausschwalbe, die sich seit drei Jahren dasselbe Nest zur Brutsaison mietet. Dabei hatte ich nicht vor Ende April, so um die Zeit des großen Staubsaugertütenwechsels, mit den unweigerlichen Frühlingsboten gerechnet: Ich bin im Februar von Kopf bis Fuß auf Winter eingestellt.

Gut, daß es in Fällen überstürzter Temperatur- und Witterungseinbrüche die Meteorologen gibt. Die Wettervorhersage ist aus dem Rennen, gefragt ist jetzt die Wetternachhersage:

Günther Fleischhauer, Diplom-Wetterfrosch beim Deutschen Wetteramt, hält eine Erklärung für den verfrühlten Winterling parat: Ganz Mitteleuropa sei von warmem Wasser umgeben, Ostsee, Nordsee, Atlantik und Mittelmeer, der milde Winter habe die hohen Temperaturen gewissermaßen konserviert. Kein Schnee, keine starken Ostwinde, Perestroika im sibirischen Winter, Glasnost in den Gletschern, kein Eis aus Kanada: Wo soll da der Winter herkommen?

Das weiß ich leider auch nicht, ist mir, ehrlich gesagt, auch egal. Denn meine Verzweifelung ist groß: Gestern noch die dicke Winterkutte im Schlußverkauf für paar Mark fünfzig unter Hieben, Stechen und Beulen geangelt, heute werde ich sie in die Ecke stellen. Letzten Sonntag auf dem Flohmarkt Schlittschuhe geklaut (wie habe ich mich gefreut, als sie auch noch paßten!), heute schlage ich vor Wut die Zähne in

die Kufen: Kein Eis in Sicht. Und dann der Wagen: Erst letzte Woche nochmal alles winterfest machen lassen, Zündkerzen eingestellt und literweise Frostschutzmittel gebunkert: Man kann ja nie wissen!!!

Ich mag gar nicht nach draußen gucken. Gleißendes Sonnenlicht verdirbt die Augen, Temperaturen wie in der Sahara. Warum haben wir denn eigentlich einen Kalender? Welcher Tatsache verdanken wir die schönsten deutschen Gedichte? Damit sich die Jahreszeiten ins Fäustchen la

chen? Ich fordere einen ordentlichen Winter! Ich hab‘ ein Recht darauf: Schließlich zahle ich auch pünktlich meine Mahnungen, da darf ich pünktliche Eiszeit fordern. Sollen sich doch die andern mit ihrer gekünstelten Frühlingslaune in die Straßencafes setzen und so tun, als genössen sie die ersten Sonnenstrahlen, diese Spießer, wiederlich, können nicht mal warten, bis sie das Aprilblatt vom Kalender gerissen haben, wo kommen wir denn da hin, wenn wir uns nach dem Wetter richten?

Markus Daschner

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