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Affen hausten in gräflichen Gemächern

■ taz-Serie zum Kennenlernen von Ost-Berlin / Heute: Der Tierpark in Friedrichsfelde / Wo früher der Graf von Treskow lustwandelte, tummeln sich heute Eisbären, Reptilien und Löwen

„Löwen und Affen haben früher in den gräflichen Gemächern gewohnt, und die Elefanten waren im Pferdestall“, erinnert sich der Tierpfleger Hartmut Micheel. Seit einem Vierteljahrhundert arbeitet er schon im Tierpark in Friedrichsfelde, und er kann sich noch gut an die ersten Jahre hier erinnern. Ein etwas ungewöhnliches Gelände hatte sich die Stadt damals, vor dreißig Jahren, für den Tiergarten ausgesucht. Der Park sei früher der Lustpark des Grafen von Treskow gewesen. „Im Schloß Friedrichsfelde soll der Graf früher wilde Freßgelage gefeiert haben.“ Als nach dem Krieg das Schloß total verfallen war und kein Graf mehr dort wohnen wollte, beschloß die Stadt den ehemaligen Schloßpark umzubauen, um sich einen eigenen Tierpark zuzulegen. Jetzt erinnert nur noch der Familienfriedhof neben dem Eisbärengehege, von Pflanzen überwuchert, an die alte Grafendynastie.

Von Anfang an ist Hartmut Micheel dabei gewesen. Inzwischen geht er auf die Fünfzig zu, die Arbeit ist für ihn sein Lebensinhalt. „Wir Tierpfleger sind Idealisten“, sagt er. Seine starken Hände sind voller Schwielen, und an der Cordhose klebt noch der Dreck von gestern. Die hagere Gestalt scheint beinahe in dem viel zu großen Parker zu verschwinden. Manchmal bleibt er jetzt auch über Nacht hier und sieht nach dem Rechten. „Saß ich bei ein paar Gläschen Wein in der Kneipe gegenüber vom Park, da kommt der Nachtwächter reingestürzt, total aus dem Häuschen, der Dumbo ist los. Wir also mitten in der Nacht rüber. Das war vielleicht was, bis wir den wildgewordenen Elefantenbullen wieder im Stall hatten. Der ist glatt durch den ganzen Zoo gelaufen“, erzählt Hartmut Micheel verschmitzt.

Wenn der Tierpfleger mal nicht nach den Tieren sieht, ist er mit Sicherheit auf einem Spaziergang durch den Tiergarten. Im Krokodil- und Kolibrihaus zeigt das Thermometer fünfundzwanzig Grad. Perfekt tarnen die Blätter der Herkulesstaude den olivgrünen Rückenpanzer. Das Maul ist weit aufgerissen, scharf blitzen die Zähne. Das vier Meter lange Urzeittier scheint zu schlafen. „Das sieht ja aus wie versteinert“, meint ein kleiner Junge besorgt. Auf seine „Krokodilkollektion“ ist der Ostberliner Tiergarten besonders stolz. Mit zwölf verschiedenen Arten besitzt er eine der größten Sammlungen in Europa. „Da kann man nur zu zweit rein, mit Fangzange und so. Die Breitschnauzenkrokodile verstehen sich nicht mit dem China -Alligator und sind sehr angriffslustig.“

Unter steinalten Eichen schlängeln sich Wege durch den Park, vorbei an weitläufigen Freigehegen. Der Sandboden ist noch vom letzten Regenguß aufgeweicht, zwischen knorrigen Wurzeln bilden sich Pfützen. Flamingos - friedlich beim Baden - flattern auf, als wieder mal ein motorisierter Bautrupp die schmalen Wege herunterdonnert.

Eigentlich ist der Tiergarten noch immer eine Baustelle. Letzten Herbst hat Tierparkdirektor Heinrich Dathe das neue Dickhäuterhaus eingeweiht. Ein bombastisches Monument aus Naturstein, selbstherrlich zwischen die lauschigen Lichtungen des Laubwaldes gesetzt. Hinter der klotzigen Fassade stehen noch immer in Reih‘ und Glied die Holzbarracken der Bauarbeiter. Ein paar Schritte weiter: „Der Beat-Schuppen des Jahrhunderts“. So nennt Hartmut Micheel eine Bretterbude, die den Tieren schon seit Jahren als Notunterkunft dient. Er muß da immer an einen alten Musikschuppen denken.

Eigentlich genießt Micheel den Ruf eines Spezialisten für Wasservögel, hat aber eine heimliche Liebe zu Riesenechsen entwickelt. Manchmal kümmert er sich deshalb auch um die Reptilieneier. „Ich hab immer gesagt, man kann alles ausbrüten“, erzählt er stolz, und dabei strahlen seine Augen. Mit viel Geduld ist es ihm gelungen, ein Krokodilbaby aus dem Ei zu zaubern.

Mächtig stolz ist der Tierpark auf seine erfolgreichen Zuchtprogramme. Erst letzten Monat wurde hier ein Panzernashorn geboren. Tausend verschiedene Arten können die die Besucher hier täglich bestaunen, darunter auch Raritäten wie den Weißkopfseeadler, das amerikanische Wappentier, den mesopotamischen Damhirsch oder das Takin, das von den Tibetern als Goldrind verehrt wird. Über drei Millionen Besucher kamen letztes Jahr. Nicht nur der Tierpark, sondern auch Kulturveranstaltungen im Schloß locken viel Publikum an. Für das Sommerprogramm und die Tierparkfestwoche Ende August wurde eine Freilichtbühne errichtet. In einen Kinderzoo mit Spielplatz können entnervte Eltern ihre Bälger zum Austoben schicken.

Hartmut Micheel muß jetzt den Spaziergang durch den Tierpark beenden und sich um seine Wasservögeln kümmern. Sein Schwarzhalsschwanenpärchen hat sich auf der kleinen Insel ein Nest gebaut, und Hartmut Micheel sieht nun jeden Tag nach, ob der Nachwuchs schon da ist. Denn wenn ein kleines Tierchen aus dem Ei schlüpft, ist das für ihn das Schönste.

Julia Schmidt

Mit der U-Bahn vom Alex Richtung Hönow bis Station Tiergarten. Die Öffnungszeiten sind täglich von 8.00 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die Kassen schließen um 16.30 Uhr, die Tierhäuser um 17.00 Uhr. Im Sommer ist der Tierpark bis 20.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt für Erwachsene beträgt eine DDR-Mark, Kinder zahlen die Hälfte.

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