: ARMILLA
■ Poesie über ein Instrumentarium für EDV-gestützte Leitungsplanung in hochinstallierten Gebäuden
ob armilla so ist, weil unvollendet oder weil zerstört, ob sich ein zauber oder eine laune dahinter verbirgt, ich weiss es nicht. tatsache ist, dass es weder wände noch decken noch decken noch fussböden hat. es hat nichts, was es als stadt erscheinen liesse, mit ausnahme der wasserleitungen, die senkrecht aufsteigen, wo die häuser stehen müssten und sich verzweigen, wo die stockwerke sein müssten: ein wald von leitungen, die in hähnen, duschen, syphons, gullys enden.
weiss leuchten gegen den himmel ein paar waschbecken oder badewannen oder anderes steingut wie spätreife früchte, die noch an den zweigen hängen, man könnte sagen, die klempner hätten ihre arbeit beendet und seien weggegangen, noch ehe die maurer kamen, oder ihre einrichtungen hätten, weil unzerstörbar, eine katastrophe, erdbeben oder termitenfrass, überdauert.
verlassen bevor oder nachdem es bewohnt war, kann armilla doch nicht als unbewohnt bezeichnet werden. blickt man, zu welcher stunde auch immer zwischen den wasserleitungen hinauf, so entdeckt man nicht selten eine oder viele junge, schlanke, nicht große frauen, die sich in badewannen rekeln, unter den in der luft hängenden duschen strecken, die waschungen machen oder sich trocknen oder parfümieren oder ihr langes haar vor dem spiegel kämmen. in der sonne gleissen die von den duschen versprühten wasserstrahlen, die güsse aus den hähnen, die sprudel, die spritzer, der schaum von den schwämmen.
die erklärung, zu der ich gekommen bin, lautet: über die wasserläufe, die in die rohre armillas geleitet wurden, sind nymphen und najaden herrinnen geblieben. gewöhnt, die unterirdischen wasseradern hinaufzuschwimmen, was es für sie ein leichtes, in das neue aquatische reich zu gelangen, aus vermehrten quellen hervorzukommen, neue spiegel, neue wasserfreuden zu entdecken.
es kann sein, daß ihre invasion die menschen vertrieben hat, und es kann sein, dass armilla von den menschen als votivgabe errichtet wurde, um sich die ob der manipulation der wasser beleidigten nymphen wohlgesonnen zu machen. immerhin scheinen sie jetzt froh zu sein, diese frauchen: morgens hört man sie singen.
Aus: „die unsichtbaren städte“ von italo calvino, hanser verlag. Dem Katalog „Fritz Haller“ entnommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen