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Tränenreicher Abschied vom Retter

Der FC St. Pauli geht trotz Schulden von 5,5 Millionen hoffnungsvoll in die Bundesliga '90: Der für Paulick gewählte Präsident Weisener soll die DFB-Lizenz bringen und der Spieler Knoflicek einen satten Gewinn  ■  Aus Hamburg Jan Feddersen

Wahrscheinlich weiß der 62jährige Baukaufmann Heinz Weisener noch gar nicht, auf welch schweres Erbe er sich eigentlich eingelassen hat: Zwar wurde der Mann mit den höflichen Umgangsformen am Montag mit überwältigender Mehrheit von den 396 Mitgliedern des FC St. Pauli zum neuen Präsidenten des Kiezklubs gewählt, doch ob der wohlhabende Herr aus dem vornehmen Stadtteil Harvestehude je aus dem Schatten seines Vorgängers Otto Paulick wird treten können, ist zu bezweifeln.

Nicht zuletzt Heinz Weisener selbst weiß, daß Otto Paulick noch so viel geschoben und betrogen haben mag, die Anhängerschaft des Vereins glaubt weiterhin unerschütterlich: Otto wird das doch nur für uns, für den Verein getan haben. Ein Mitglied brachte das stadtteiltypische Ressentiment vom Kiez gegen das gute Hanseatentum auf den Punkt: „Der neue Präsident, der paßt doch gar nicht zu uns, das ist keiner zum Anfassen.“

Paulick war so einer. Dem konnte man im Vereinshaus jovial auf die Schulter klopfen. Der steckte mal der Jugendabteilung einen kleinen Klamottenscheck zu, schüttelte Hände, war freundlich, schlitzohrig, mit einem Wort: Otto Paulick war einer von uns, einer, der sich für seinen Wohnsitz an der nicht weniger vornehmen Elbchaussee niemals erklären brauchte.

Daß Paulick überhaupt Platz machen mußte für einen Mann, der als seriöser Hamburger Baukaufmann über allerbeste Kontakte zur hanseatischen Wirtschaftsszene verfügt, haben so auch die meisten Teilnehmer der außerordentlichen Mitgliederversammlung bedauert. Langanhaltender Beifall für „Otto“, Tränen in manchen Gesichtern, Dank und immer wieder Dank für ihn, durch dessen finanzielle Transaktionen der Klub vor elf Jahren vor dem Bankrott und damit vor dem Verlust der Spielstätte am Millerntor bewahrte.

Doch Frank Weidemann, Mitglied des Vereins, politisch durchaus autonom und maßgeblich am Scheitern des (von Weisener mitinitiierten) gigantischen Sportdome-Projekts verantwortlich, wußte den Grund für den Wechsel an der Führungsspitze: „Ich hätte nichts dagegen, wenn Paulick weitermachen würde, aber die Sponsoren wollen mit ihm nicht mehr.“ Eine zutreffende Beschreibung: Der „Deutsche Ring“, Hauptsponsor des Vereins, ließ dezent durchblicken, eine weitere Zusammenarbeit mit Paulick sei nicht gewünscht.

Auch der DFB signalisierte, daß eine weitere Lizenzvergabe vom Präsidentenwechsel abhinge.

Schließlich steht der Verein mit 5,5 Millionen Mark Verbindlichkeiten in der Kreide, weist selbst bei durchschnittlich ausverkauftem Hause keine Überschüsse auf und mißfällt dem allgewaltigen Verband in Frankfurt sowieso deswegen, weil das Stadion eigentlich nicht den branchenüblichen Sicherheitsbestimmungen genügt - das Millerntorstadion ist alles andere als ein Hochsicherheitstrakt. Anfang März entscheidet der DFB über die Lizenz für den FC St. Pauli - wahrscheinlich ergeht ein positiver Bescheid.

Gesucht: Größere Tribüne und „Vertrauen, Vertrauen“

Weisener hat nämlich versprochen, demnächst ein Konzept für den behutsamen Ausbau des vereinseigenen Stadions vorzulegen. Die marode Haupttribüne soll für solvente Gäste erweitert werden, wie überhaupt die Kapazität um 50 Prozent auf 30.000 Zuschauerplätze erhöht werden soll. Weisener: „Damit könnte der Verein mehr teure Plätze verkaufen.“ Und das heißt: Die Finanzen des FC St. Pauli wären nicht mehr allein durch private Bürgschaften - Weisener und Paulick halten nach wie vor für mehr als zwei Millionen Bürgschaften in der Hand - gesichert.

Weisener jedenfalls hat vorsorglich angekündigt, daß er nichts so sehr brauche wie „Vertrauen, Vertrauen und nochmals Vertrauen“. Auf dem Vereinsplenum klang dieses ängstliche Bekenntnis ein wenig nach der Forderung „Wir werden gut regieren und ihr werdet gut arbeiten“. Allerdigns: Diese Tugend gilt auf St. Pauli als selbstverständlich. Von den fußballspielenden Profis ist das Publikum in puncto Kampf und Körpereinsatz in den letzten Jahren mehr als verwöhnt worden.

Der Mann, der dieses Programm auf der sportlichen Seite kongenial verkörpert, der umjubelte Helmut Schulte nämlich, fehlte indessen auf der Versammlung - wegen eines „grippalen Infekts“, hieß es. Schulte, wie die meisten seiner Spieler ein Freund des Hauses Paulick, wird sich mit Weisener arrangieren müssen. Auch dann, wenn der Verein seine Investition in den tschechoslowakischen Stürmer Ivo Knoflicek nach der Weltmeisterschaft in Italien wieder verkaufen will.

Denn der schwarzgelockte angehende Publikumsliebling, für lumpige 500.000 Mark eingekauft, soll mit dazu beitragen, die defizitäre Kasse aufzufüllen. Erhoffte Verkaufssumme, so ein Experte: 3,5 Millionen Mark. Freut sich ein Mitarbeiter aus dem Führungszirkel: „Den haben wir gerade bei Aldi geschossen und im Sommer verkaufen wir ihn bei Johs. Schmidt.“

Die meisten der anderen Spieler - Ippig, Golke, Duve, Zander - sollen gehalten werden. Sie, die zumeist in Hamburger Amateurvereinen Fußballspielen gelernt haben, haben erst am Millerntor zu dem Niveau gefunden, das die Fans an ihnen schätzen.

Mit 20:22-Punkten hat der FC St. Pauli zum Glück immer noch zu wenig Punkte, um gänzlich frei von Abstiegssorgen zu sein. Dennoch: Wer die letzten Spiele vor der Winterpause gesehen hat, weiß, daß der FC St. Pauli sicher nicht zu den elegantesten Vertretern der Bundesliga gehört. Trost: Unfähigere Mannschaften gibt es allemal. Also hoffen viele Fans nicht ohne Grund auf zwei Punkte in Homburg. Ein Verein, der auf St. Pauli nicht eben große Sympathien genießt.

Als nämlich ein Redner auf dem Vereinsplenum mutmaßte, Weisener wolle beim FC St. Pauli ähnliche Sklavenverhältnisse einführen wie Manfred Ommer in Homburg, erscholl nichts als Buhen und Muhen. Nein, mit Sklaverei will man im angeschickten Schmuddelstadtteil nun wahrlich nichts zu tun haben.

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