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Die Stasi und ihr Desinfektor

Notizen aus der Provinz in der DDR - Seelow: Die durchschnittliche Revolution, ein Vertreter von Demokratie Jetzt und die alltäglichen Krankheiten der Gesellschaft / Ex-Geheimdienstler backen kleine Brötchen und sorgen trotzdem für Ärger  ■  Aus Seelow Bascha Mika

Kränklich beige Tischdecke, kotbraun „Gesundheitswesen“ eingewebt; rote Plastikstühle, die am eckigen Resopaltisch warten: in der pathologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Seelow ist es still, keine Schritte, keine Stimmen, nur Umgang mit totem Gewebe.

Die Hände mit den derben Nägeln streichen über die Tischdecke, bleiben dann verschränkt auf ihr liegen. „Desinfektor bin ich. Seit sechs Jahren in dieser Klinik.“ Eingesetzt wird Dieter Zörner immer dann, wenn es um ansteckende Krankheiten geht, „Hirnhautenzündung und Gelbsucht zum Beispiel“. Doch die meisten Termine in seinem Kalender - wichtig durchblättern seine Finger rotbeschriebene Seiten - gelten anderen Übeln der DDR -Gesellschaft. Zörner sitzt am Runden Tisch der 6000 -Menschen-Stadt Seelow. Seelow, eine Kreisstadt, die von allem etwas mitgekriegt hat: von den betrügerischen Kommunalwahlen, der Welle der Ausreisenden, vom Aufbruch nach dem Mauerfall und nun von der Hast einer zerfallenden Gesellschaft.

Trostloses Zentrum

Der Blick aus den zwölf Quadratmetern Sprechzimmer bleibt an rostigen Backsteinwänden hängen, an den ramponierten Fassaden der umliegenden, niedrigen Gebäude. An Klinik erinnert hier nichts, außer vielleicht der Geruch. Die Zufahrtsstraße endet links in grauem Feld. Geht man sie in die andere Richtung, über das Kopfsteinpflaster, um ein, zwei Ecken, kommt man auf geteerten Straßen in die Stadtmitte. Stadtmitte heißt, daß die Straße ein wenig breiter ist, daß hier die Kirche, das Cafe und die Kaufhalle stehn. Das Cafe ist ein trübe weißer Legowürfel; die Kaufhalle heißt „Der Konsument“, und auf der verschlossenen Kirchentür klebt ein Zettel: Gottesdienst im Gemeindehaus.

„Man sagt immer, in Seelow kommt alles drei Jahre später.“ Der schmächtige Desinfektor grinst, als erzähle er einen guten Witz - den die Geschichte bereits überholt hat. Auch 33 Kilometer nördlich von Frankfurt/Oder, in diesen Flecken ohne Produktionsbetriebe, mit einem Optiker, einem Uhrmacher, einem Klempner, zieht Unruhe in den Alltag ein. „Ich kenn‘ da zwei Fälle aus meiner Umgebung. Der Mann von einer unserer Krankenschwestern ist schon drüben. Auch die Wohnung ist da. Noch ein bißchen mehr Geld, und sie ist weg.“ Abgerufen ins süße Bruderland wie bald auch der, dessen Frau in einer BRD-Klinik putzt für 1.600 D-Mark. „Wenn sie 10.000 zusammen und eine Wohnung hat, kommt er nach.“

Das Weichbild von Seelow verändert sich. Ein Drittel der 6.000 sind bei der NVA. Noch. Im Sommer wird das ansässige Baubataillon aufgelöst. Die anderen Seelower arbeiten fast alle in Landbaubetrieben, verwalten die Äcker des Kreises. „Um 17 Uhr 15 sind sie alle raus aus der Stadt.“ Sie leben im Umland und verdienen mit Gemüse und Kleintieren was dazu. „Um acht Uhr abends ist kein Mensch mehr auf der Straße.“ Wohin sollte er auch gehen? Es locken kein Theater und keine Tanzgaststätte. Jugendklub und Kulturhaus sind müde Alternativen. Ab und zu quält ein Blasorchester und eine Laienspielgruppe die Öffentlichkeit. Zörner wohnt hier seit acht Jahren, mit seiner Frau.

Schnauze voll, auch

vom Dritten Weg

„Die Leute haben viel entbehrt. Das Leben war so mühsam, alles ist so fad und trist und eintönig.“ Sachte zupft eine Hand am steifgestärkten Kittel; unten ist der schon ein wenig angeschmiert, kleine Stopflöcher sitzen neben dem Aufschlag. „Die Leute wollen sich in Gesamtdeutschland wiederfinden, aber nicht ohne Fallschirm aus'm Flugzeug springen.“ Die Stimme des kleinen Mannes hallt zwischen den drei mal vier Meter Wänden. „Die Leute haben die Schnauze voll, auch vom Dritten Weg. Beim Sozialismus sind 10 von 10 Versuchen gescheitert. Solange unsere Regierung kein Konzept hat, streben die Leute rüber, in einem Jahr kann die DDR besenrein übergeben werden.“

Für eine saubere DDR will der Desinfektor auf andere Art sorgen. Am Runden Tisch, wo er mit der SED/PDS, der FDJ, dem FDGB und den Blockparteien hockt, „20 Mannen alle 14 Tage“. Gleich nachdem das Gremium in der letzten Dezemberwoche im Rat des Kreises eingesetzt wurde, mußte es sich um „60 undefinierbare Objekte“ kümmern. Als „Meteorologischer Dienst“, als Reisebüro oder als „ingenieurtechnischer Dienst“ hatte die Stasi dem Volk gedient. Der Staatsanwalt wollte da nicht recht ran. „Ein bißchen Rüttelei“ gab es, erzählt Dieter Zörner. Noch bis vor vier Wochen war ein Funkcontainer, mit dem Telefongespräche abgehört wurden, auf dem Gelände der Straßenmeisterei Seelow in Betrieb. Dann schaltete ihn die Staatsanwaltschaft endlich ab. Ein weiteres „Funkobjekt“ im Wald für 24 Millionen Mark - „damit kann man Funkkontakte aus der ganzen Welt auffangen“, erzählt der DDR-Bürger fast stolz - wurde auch bis vor kurzem eifrig genutzt.

Die braunen Augen des Fünfzigjährigen wandern über die gemusterte Tapete zu einem gerahmten Vierfarbdruck. Dorthin, weit weg auf die abgebildete Lichtung, würde er die abgehalfterten Stasi-Beamten sicher liebend gerne schicken. Statt dessen machen sie nur Ärger, selbst wenn sie poststalinistische kleine Brötchen backen wie in der Seelower Konsumbäckerei. Dort sitzen seit Mitte Januar zwei „dieser Diener“. In leitenden Funktionen - niemand weiß so recht, wer sie eingesetzt hat, denn die Entscheidung fiel an der Spitze des Backkombinats in Eberswalde. „Das Betriebsklima ist seitdem über die Maßen angespannt“, ereifert sich der Vertreter der Bürgerbewegung. „Gewerkschaftliche Rechte haben diese Despoten mißachtet, sogar mit Kündigungen gedroht.“

Zörner selbst hat den BäckerInnen den Warnstreik ausgeredet; „schließlich hängt die Versorgung der Bevölkerung davon ab“, sagt er weise. Doch Demokratie Jetzt hat den Aufruf der 29 nach Ablösung der neuen Chefs unterstützt und das Thema letzte Woche auf den Runden Tisch gebracht.

Einen gesellschaftlichen Reinigungsprozeß stellt sich der Desinfektor für die ehemaligen Schnüffler vor: „Sie können nur in festen Kollektiven in untergeordneten Positionen unter Leitung von unbescholtenen Bürgern rehabilitiert werden“, wechselt Zörner mühelos und überzeugt in realsozialistisches Erziehungsvokabular.

Das ist ihm schließlich nicht fremd. Fast beiläufig erwähnt er, daß er früher Ortsgruppenvorsitzender der CDU war, hier in Seelow. Früher, das heißt ziemlich genau bis zur Öffnung der Mauer. Meinungsverschiedenheiten hatte er aber mit seinen Parteigenossen schon lange vorher, sagt er.

„Es sind die alten Strukturen, an denen es krankt“, klingt es nach, als der Weg schon wieder aus Seelow rausführt, „die alten Strukturen, die alten Leute in der Verwaltung, mit denen wir seit der Wende am meisten zu kämpfen haben.“ An der Straße Richtung Frankfurt/Oder klemmen vereinzelte Sandsteinbauten zwischen realsozialistischem Beton. Hier und da taucht eine farbige Fläche auf. Doch bei näherem Hinsehen ist sie gar nicht farbig: nur stickig rot und dumpfig orange.

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