: Die Brille bleibt unten!
■ Nicht jede Wohnung hat ein Chauvi-Klo: eines, wo Mann noch Mann sein und im Stehen pinkeln darf. Frauen bestimmen den Trend und der heißt: Setzen!
Die Brille b
bleibt unten!
Nicht jede Wohnung hat ein Chauvi-Klo: eines, wo Mann noch Mann sein und im Stehen pinkeln darf. Frauen bestimmen den Trend und der heißt: Setzen!
Von
BERND MÜLLENDER
öglicherweise haben es unsere Vorfahren (männlich) dem Hund (männlich) abgeguckt. Kaum ist das Welpenalter überschritten, hebt der einen seiner Hinterläufe, um sich so von der weiterhin herniederhockenden Hündin abzuheben und so eine vermeintliche Besonderheit zu dokumentieren. Homo sapiens leert ähnlich geschlechtsabhängig, wegen seines aufrechten Ganges indes nicht durch Heben, sondern beim Manne durch eine stehende Verrichtung des sogenannten Geschäfts. Ein scheinbares Privileg für lange Zeit - doch seit einigen Jahren ist dieses Extrarecht als unzeitgemäßes Fehlverhalten entlarvt: Mann darf nicht mehr im Stehen. Jedenfalls nicht überall.
Seit Jahrhunderten schon hätte man darauf kommen können. Dienstmägde und Reinigungstrupps, Klofrauen und Latrinenkommandos hätten eigentlich aufbegehren müssen ob der unnötigen Verunreinigungen in ihrem Einsatzgebiet, meist noch weit außerhalb des Ovals. Niemand aber muckte auf, niemand hinterfragte die Gewohnheiten der männlichen Zeitgenossen. Statt dessen wischte man - meist frau - und scheuerte und rieb mit sisyphosker Gleichgültigkeit und Demut.
Zur Umkehr war eine grundlegende Alternative im Zusammenleben nötig. Die besondere Konstellation von Wohngemeinschaften brachte den Durchbruch. Aber auch hier mußten offensichtlich mehrere Generationen beim wechselnden Putzeinsatz feststellen, daß eine für den anderen Spuren entfernen muß, die nicht sein müssen. Von der Kommune 1 in West-Berlin war reichlich revolutionäres Verhalten bekannt, nichts jedoch über diese Form gelebter Solidarität im Alltag. Auch die siebziger Jahre blieben noch ruhig. Seit einigen Jahren aber wird Mann auf immer mehr der stillen Orte dezent erinnert oder auch kategorisch zurückgewiesen: „Mann macht's bei uns im Sitzen“ oder „Der Deckel bleibt unten, Frauen setzen sich auch“ oder auch: „Setz Dich hin, Du Ferkel“. Schon Richtung Parole tendiert der siegreiche Slogan: „Die Zeit des Stehens ist vorbei, Mann.“ Und wehe, einer wird durch hochgeklappten Deckel nachträglich erwischt: „Dort im Schrank ist der Eimer!“
Kompromisse werden selten gemacht. Nur wenn es die sanitären Verhältnisse zulassen, bekommen die Uneinsichtigen einen Extraraum zugewiesen (gutbürgerlich: „Gästetoilette“), wo sie in Eigenverantwortung freien Lauf lassen können. Solche Gettos heißen Chauvi-Klos. Und wer will da schon hin!
ie Mode hat sich längst angepaßt. Das frühere Erkennungszeichen exklusiver Herrenwäsche, der sogenannte „Eingriff“, wird mehr und mehr funktionslos. Dadurch verschwindet dieser meist gerippte Dessoustyp - endlich! vom Markt und weicht dem zwar oft beängstigend beengenden, aber halt (Zeitgeist!) formschöneren und gestylten Typ. Die Zeiten der alternativen Latzhose ist nicht zuletzt wegen des Paradigmenwandels hinter dem Herzchen vorbei, weil die Prozedur des Entkleidens immer unverhältnismäßig aufwendig war für ein paar Tröpfchen oder den häufigen Gang bei ausgelassener Zechrunde. Aus demselben Grund werden sich Hosenträger, derzeit noch so bunt und noch so schick, nie auf breiter Ebene durchsetzen. Chancen gibt es für die Sanitärindustrie: wenn hochklappbare Brillen jede Funktion verloren haben, ließen sich 23 Millionen westdeutscher Haushalte mit ebensovielen neuen Brillenmodellen ausstatten. Konjunkturhoch durch Pinkelwandel.
Längst sind Lernerfolge erkennbar. Wer's vergißt, kann sein Gewissen reinwischen. Dennoch gibt es immer noch Schwanzträger, die sich einfach nicht in die Hocke zwingen lassen wollen und sich allen Hinweisen standhaft verweigern. Dabei bleiben doch zumindest die Möglichkeiten in versteckten Winkeln der freien Natur unangetastet (deutsche Eiche: sehr beliebt); und öffentliche Lokalitäten stellen weiterhin Spezialbehältnisse zur Verfügung.
Deshalb bleiben Fragen: Warum hat der Mann nicht von selbst seine umweltbelastende Methode erkannt? Und: Welche Rückschlüsse auf desjenigen Mannes Psyche sind angebracht, der sich - obwohl hinter sicher verriegelter Tür nicht zu ertappen - seines vermutet „unmännlichen“ Verhaltens schämt, doch nur den Reißverschluß nach unten lupft und ganz nach Altvätersitte losstrullt? Es scheint, als verwechsle da wer angstvoll die biologischen Funktionen seines Zipfelchens, wenn es heißt: Stehen verboten!
Nicht auf Sitzen zu stehen, beginnt im übrigen, anscheinend ähnlich wie beim Hund, im frühesten Lebensabschnitt. Eine erste (nicht repräsentative) taz-Umfrage in einem Kinderladen brachte es an den Tag. Warum sie gerne stehend Pipi machen, begründeten die 3- bis 5jährigen immer wieder so: „Weil die Mädchen das nicht können.“
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